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Research on the methodology based on ZIPoPo by Dominik Schreiner (in German)
Technische Universität Dresden
Fakultät Erziehungswissenschaften
Vordiplomarbeit
Zum
Thema:
Gewaltprävention an Schulen
Dargestellt am Projekt „People’s Theater“
Sommersemester 2003
Betreuung: Dr. phil. Cornelia Klink
vorgelegt von:
Dominik Schreiner
Studiengang Sozialpädagogik, 4. Fachsemester
Dresden, den 24. Juni 2003
„...Betrachte
den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert. Nur
die Erziehung kann bewirken, daß es seine Schätze enthüllt und die Menschheit
daraus Nutzen zu ziehen vermag.“
Bahá’u’lláh – Ährenlese 122:1
Inhalt:
Seite
Einleitung.............................................................................................................................4
Gewalt an
Schulen...............................................................................................................4
Gewalt an Schulen in Form
von Fremdenfeindlichkeit..........................................................12
Gewaltprävention...............................................................................................................15
Gewaltprävention an
Schulen..............................................................................................16
Die zwölf Grundformen der
Gewaltprävention nach Lothar R. Martin..................................17
Grundform
1: „Raum geben – Schulleben ermöglichen“.................................................................17
Grundform
2: „Frustration abbauen – Regeln achten – Fairness üben in Sport und Spiel.......................19
Grundform
3: „Miteinander reden – Einander verstehen“................................................................20
Grundform
4: „Interagieren – Identität fördern“.............................................................................22
Grundform
5: „Medienkonsum – Durch Medien lernen“..................................................................24
Grundform
6: „Werte bilden – Moralisch handeln“.........................................................................26
Grundform
7: „Projekte durchführen – Lernen durch tun“................................................................28
Grundform
8: „Gemeinschaft fördern – Gemeinsinn entwickeln“.......................................................30
Grundform
9: „Konflikte bewältigen – Konfliktfähig werden“...........................................................32
Grundform
10: „Mit Tätern umgehen – Gewalt entmachten“............................................................34
Grundform 11:
„Kooperieren – Vernetzen“..................................................................................35
Grundform
12: „Menschen und Schöpfung achten – In Würde leben“..............................................37
Das gewaltpräventive,
soziale Projekt „People’s Theater“...................................................38
Ziel und Konzept der Show
von „People’s Theater“...........................................................39
Resonanz und Erfahrungen
an den Schulen über und von „People’s Theater“.......................43
Zusammenfassung und
Ausblick.........................................................................................46
Literatur.............................................................................................................................48
Weitere
Hilfsmittel..............................................................................................................49
Anhang...............................................................................................................................50
Einleitung
Gewalt ist ein Phänomen, welches
die Menschheit seit jeher begleitet hat. Sie „ist allgegenwärtig und prägt die
Geschichte der Menschheit. Sie findet in den verschiedensten Ausprägungen
statt“ (Varbelow 2000, S. 13). Mit dieser sehr allgemein gehaltenen
Feststellung hat Dirk Varbelow grob umrissen, wie gross das Ausmass ist,
welches Gewalt erreichen kann.
Die vorliegende Arbeit jedoch
will nicht soweit gehen. Sie beschäftigt sich zunächst vielmehr mit einer
groben Darstellung von Gewalt an Schulen, wobei auf die verschiedenen Ursachen,
die Täter-Opfer-Problematik und die verschiedenen Ausprägungen von Gewalt kurz
eingegangen wird. Speziell thematisiert wird hierbei auch Fremdenfeindlichkeit
als Form von Gewalt. Der Grund dafür ist wohl die weite Verbreitung des
Rechtsextremismus in Einwanderungsland Deutschland. Fremdenfeindlichkeit ist
fast zu einem alltäglichen Bestandteil des Lebens geworden. So habe ich mich
entschlossen, diese spezielle Form von Gewaltanwendung kurz separat zu
thematisieren.
Den grössten Teil der Arbeit
bildet die Gewaltprävention speziell an Schulen. Hierfür konnte ich die
Ausführungen von Lothar R. Martin über seine „Zwölf Grundformen der Gewaltprävention“
verwenden, die meiner Ansicht nach eine gute Grundlage für auszuführende
Projekte bilden, weil sie nicht nur wiederum kurz auf die Ursachen von Gewalt
innerhalb und ausserhalb des schulischen Rahmens eingehen, sondern auch
theoretische Ansätze zur Prävention als Schlussfolgerung daraus anbieten.
Ferner werden an konkreten Beispielen und Vorschlägen auch die praktische
Umsetzung dargestellt.
Beim letzten Teil der Arbeit über
das Projekt „People’s Theater“ in Offenbach soll eine konkrete und sehr besondere
Art und Weise vorgestellt werden, wie Gewaltprävention an Schulen mit Elementen
des Theaters aussehen kann. Ich hoffe vor allem, dem Leser das Projekt
näherzubringen, weil es indirekt und vielleicht unbeabsichtigt an die zwölf
Grundformen der Gewaltprävention angelehnt ist.
Gewalt an
Schulen
Die intensive Diskussion über
Gewalt in unserer Gesellschaft, insbesondere intensiviert durch die
gewalttätigen Übergriffe auf Asylbewerber und Ausländer, hat auch Gewalt an
Schulen wieder stärker in die Öffentlichkeit treten lassen. Die Veränderungen
an den Schulen hinsichtlich der Gewalt sind spürbarer und sichtbarer geworden.
Die Formen körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt haben sich bei einer
(bis jetzt) kleineren Gruppe von Schüler/innen verdichtet. (vgl. Bründel 1995,
S. 41)
Die Erscheinungsformen von Gewalt
in der Schule haben ein breites Spektrum. Sie reichen von Disziplinlosigkeit im
Unterricht über verbale und physische Attacken Lehrern und Mitschülern
gegenüber bis hin zu Diebstahl, Raub und Erpressung und Auseinandersetzungen
zwischen Jugendgangs und Schlägereien mit ausländischen Jugendlichen, um nur
einige zu nennen. Aus Angst, selbst ein Opfer der Gewalt zu werden, haben sich
deshalb auch viele Jugendliche bewaffnet und dies in zunehmendem Masse, wie von
Lehrer/innen berichtet wird. Auch sexistische Gewalt ist häufig eine
vorherrschende Form. Diese drückt sich vorwiegend gegen Mädchen aus, sowohl
seitens der Schüler als auch der Lehrer und reicht von beleidigenden sexuellen
Anspielungen bis hin zur Nötigung von sexuellen Handlungen und erzwungenem
Geschlechtsverkehr.
Es ist nicht leicht, objektiv
festzustellen, inwieweit die Gewalt an Schulen zugenommen hat, denn selten
dringt Information darüber an die Öffentlichkeit ausserhalb der Schule. Dies
ist nur der Fall wenn seitens der Eltern darauf gedrängt wird oder die
Schulleitung sich besonders machtlos fühlt. Demnach ist die Forschung auf
diesem Gebiet auf Befragungen von Schülern und Lehrern angewiesen. In einer
Studie von Ferstl, die Bründel (1995) erwähnt, wurden Schüler/innen sowie
Lehrkräfte dazu befragt. Angegeben wurde hierbei, dass insbesondere die
Verrohung im Umgangston der Schüler und das Herabsetzen sehr zugenommen hat.
Tätliche Auseinandersetzungen kamen dabei auch vor, 14% der befragten
Schülerinnen und Schüler waren dabei schon oft in solche Auseinandersetzungen
verwickelt gewesen, bei denen es sich oft um Faustkämpfe gehandelt hatte.
Jedoch gaben davon 7% an, auch Waffen und waffenähnliche Gegenstände benutzt zu
haben. (vgl. Ferstl 1993 in: Bründel 1995, S. 43)
Diese Betrachtung und auch
weitere zeigen einen geschätzten, erweiterten Ausmass in der Veränderung der
Gewalt an Schulen. Viele Lehrer haben angegeben, dass sich bei den Formen von
Gewalt selbst nicht sehr viel geändert habe, jedoch sei es zu einer Verrohung
der Gewalttaten gekommen, die Schüler kennen keinen „Ehrenkodex“ mehr und die
Hemmschwelle hat sich weiter nach unten verlagert. Dies führt natürlich zu
einer Beunruhigung der Schüler und Lehrer gleichermassen. Schüler fühlen sich
in der Schule nicht mehr besonders geschützt und sehen sich nach anderen
Schutzmöglichkeiten um. Sie greifen dann zur Selbstverteidigung die oft im
Tragen von Waffen oder dem Erlernen von Kampfsportarten ihren Ausdruck findet.
Lehrkräfte berichten ausserdem auch von einer steigenden Anzahl von extrem
schwierigen Kindern und zunehmenden brutalen, körperlichen Übergriffen in der
Schule, wobei auch das Aufschaukeln verbaler Aggressionen eine grosse Rolle
spielt und übelste Beschimpfungen und Beleidigungen nicht unwesentliche
Erscheinungen hierbei sind. Die Täter sind meistens Jungen und
leistungsschwache Schüler die versuchen, durch aggressive Taten Aufmerksamkeit
auf sich zu lenken. Diese Täter sehen Gewalt als Medium, um sich Anerkennung zu
verschaffen. Das Mitbringen von Waffen wird häufig verharmlost und als Grund
wird notwendige Selbstverteidigung angegeben.
In der Schule herrscht in dieser
Hinsicht das Gesetz des Stärkeren und körperlich schwächere Schüler können sich
nicht behaupten. Die Opfer sind meist sensible und ängstliche, meist jüngere
Schüler als der Täter, die wenig Selbstvertrauen besitzen und verspottet
werden. (vgl. Bründel 1995, S. 45)
Der Besuch der Schule ist das
vorherrschend prägende Merkmal in der Jugendzeit und die Zeit in der Schule ist
mit der Jugend nahezu identisch. Was in der Schule passiert ist massgebend für
die persönliche Entwicklung der jugendlichen Persönlichkeiten. Obwohl die
Schule nicht unbedingt alle Ursachen und Anlässe für Gewalttätigkeit und
Aggression beherbergt, sonder diese auch in verschiedenen anderen Bereichen wie
Familie, Freizeit, Gewaltverherrlichung in den Medien oder in den Konsequenzen
der Arbeitslosigkeit der Jugendlichen zu suchen sind, trägt sie durch ihre
Strukturierung oft zu deren Entstehung und Umsetzung bei. In ihrer jetzigen
Form und Ausprägung fördert die Schule die individuellen
Entwicklungsbedürfnisse der Schüler nur höchst unzureichend. „Gerade weil bei
den gegenwärtig überwiegenden Lern- und Lehrformen von den Schülerinnen und Schülern
kaum ein praktischer Anwendungsbezug zum Leben hergestellt werden kann, ist die
Schule eine Instanz, die die Kinder und Jugendlichen in ihrer
Selbstverwirklichung und der Entfaltung ihrer subjektiven Möglichkeiten,
Fähigkeiten und Fertigkeiten eher behindert als fördert.“ (Bründel 1995, S. 45)
Trotzdem hat die Schule noch immer im Leben eines Jugendlichen einen hohen
Stellenwert und auch in den Familien ist es so. Dort dreht sich alles primär um
Leistungen in der Schule, die eine grosse Bedeutung haben. Schlechte Zeugnisse
oder das Wiederholen von Klassen sind in den meisten Familien katastrophale
Ereignisse. Psychisch aufgefangen werden die Schüler/innen zuhause also nicht.
Vielmehr kommt zum schulischen Versagen auch noch emotionale Belastung seitens
der Familie als Zusatz. Diese tritt meist als Mischung aus Manipulation,
Druckausübung und Strafandrohung auf. Aggression und Gewalt kann in diesem
Sinne als Ventil gesehen werden, durch dass die Schüler in der Schule ihren
„Frust ablassen“ oder auch als Verteidigungs- und Kompensationsmechanismus
gegen die psychischen und sozialen Verunsicherungen. (vgl. Bründel 1995, S. 46)
Oft bildet aggressives Verhalten
den Endpunkt einer langen Belastungskette. Die gesellschaftlichen
Ausgangsbedingungen und der gesellschaftliche Rahmen sind beispielsweise
ungünstig. Leistungsversagen, häufige Versetzungsgefährdungen,
Klassenwiederholungen, das Zurückbleiben hinter den eigenen und/oder den
elterlichen Erwartungen bilden oft diese Kette. Gewalt kann hier als Enttäuschungsreaktion
interpretiert werden und versucht, diese Belastungen zu kompensieren. Das
Ausmass an delinquentem Verhalten steigt ausserdem dann noch einmal an, wenn
die Jugendlichen nach ihrer Leistungsidentifizierung in der Schule aufgeteilt
werden. Diejenigen, für die die Schule wichtig ist, neigen bei Misserfolg eher
zu aggressivem Verhalten als die, denen die Schule nicht so wichtig ist.
Dasselbe gilt dann auch für die spätere Erfolgsorientierung. Je höher die
gesteckten Ziele, desto aggressiver ist das Verhalten bei Misserfolg bei zu
Aggression neigenden Schülern. (vgl. Bründel 1995, S. 47)
Rein schulische Risikofaktoren
tragen ebenfalls und zusätzlich zur Entstehung von Gewalt in der Schule bei.
Entfremdung von der Schule ist ein solcher Faktor. Bei permanentem Versagen in
den Leistungen in der Schule kommt es häufig vor, dass Schüler sich von der
Schule abwenden, von ihr entfremden und sich durch dieses Versagen abgewertet
fühlen. Das erzeugte geringe Selbstwertgefühl durch die zusätzliche oben angesprochene
emotionale Belastung zuhause und die Überzeugung ungerecht behandelt zu werden
resultieren in eine mangelnde Zukunftsperspektive und all diese Fakten zusammen
kreieren eine Basis für gewalttätiges und aggressives Verhalten. Eine weitere
fördernde Tatsache von Gewalt in der Schule ist ferner eine chaotische innere
und äussere Struktur der Schule. Grosse Schulklassen und Schuleinheiten tragen
oft zu Anonymität und Isolation des Einzelnen bei und werden allgemein schon
als ungünstige Ausgangsbedingungen gesehen. Ist zusätzlich noch die
Schulorganisation unübersichtlich und nicht strukturiert, fehlt der
Informationsaustausch, wissen die Schüler nicht, an wen sie sich wenden können
und haben sie keine Bezugspersonen, so ist eine chaotische interne und auch
externe Struktur an der Schule ein weiterer Beitrag zum Nährboden für
Gewaltbereitschaft.
Aber auch Lehrer spielen hier
eine wesentliche Rolle, sowohl in den Beziehungen unter sich als auch in Bezug
auf die Schüler. Wenn es unter dem Kollegium der Lehrkräfte keine ausreichende
Kooperation besteht, es also Streit, Rivalitäten oder Konkurrenz gibt, spüren
das Schüler sehr genau und testen, bis zu welchem Punkt es eine zumindest
prinzipielle Einigung in wichtigen pädagogischen Themen und Fragen gibt. Schüler
sind sehr gut in der Lage, Uneinigkeiten auszunützen und die Lehrkräfte dadurch
gegeneinander auszuspielen. Auch unterschiedliches Vorgehen der Lehrer bei
Strafen fordert eine Übertretung der Grenzen heraus und lässt die Lehrkräfte
ihre Autorität verlieren. Auch die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler hat
einen wesentlichen Einfluss. Je schlechter die einzelnen Beziehungen zwischen
einem Lehrer und seinen Schülern sind, desto schlechter ist das Gesamtgefühl in
der Schule. Wenn Schüler sich dann ungerecht behandelt fühlen und bemerken,
dass der Lehrer sein Handeln bewusst gesteuert hat, dann ist eine Neigung zu
Gewalt da und zwar viel stärker als bei Schülern, die es nicht so erleben.
(vgl. Bründel 1995, S. 49)
Befragt man Schüler und Lehrer
gleichermassen nach dem Ausmass von Gewalt, dann ist es wiederum interessant zu
sehen, dass es in diesem Punkt wesentliche Gemeinsamkeiten gibt. Beide
empfinden Gewalt in der Schule und unter Jugendlichen als Problem. Beide
scheinen die Erfahrung gemacht zu haben, dass es bestimmte Schulen gibt, an
denen Gewalt schon immer ein allgemein hohes Ausmass hatte und andere Schulen,
an denen das Niveau vergleichsweise niedrig war. Generell sehen sowohl Schüler
als auch Lehrer in den letzten Jahren einen Anstieg an Gewalt vor allem von
Seiten „rechts“ orientierter Jugendlicher und Gruppen. Sowohl Schüler als auch
Lehrer sehen, wie oben bereits kurz erwähnt, eine steigende Gewaltbereitschaft
und zugleich sinkende Hemmschwelle für Gewalttaten mit gleichzeitig zunehmender
Bewaffnung. Dabei erleben Schüler und Lehrkräfte in den neuen Bundesländern
Aggression und Gewalt im Alltag „vielfach bedrückender, massiver und extremer
als [...] Schüler und Lehrer der alten Bundesländer.“
(Würtz/Hamm/Willems/Eckert 1996, S. 91)
Insgesamt erscheint den
Schüler/innen jedoch die Gewalt ausserhalb der Schule als grössere Bedrohung
als die innerhalb der Schule. Sie wird als härter, bedrohlicher und brutaler
geschildert, vor allem wenn Gewalt in Jugendbanden und Cliquen angesprochen
wird (wobei häufig rechte Gruppen erwähnt werden). Auch berichten, wie bereits
kurz angesprochen, weit mehr Jungen als Mädchen von Gewalt und gewalttätigen
Übergriffen. Sie sind meistens sowohl Täter als auch Opfer von Gewalt sowohl
innerhalb als auch ausserhalb des schulischen Rahmens. Dies passiert vor allem
wenn sie jünger sind. Gewalt scheint in den niedrigeren Jahrgangsstufen
schneller zu eskalieren, während mit zunehmendem Alter und sozialer Reife die
Gewalt seltener vorkommt und abnimmt. Konflikte werden gemieden oder vermehrt
kommunikativ geregelt. (vgl. Würtz/Hamm/Willems/Eckert 1996, S. 92)
Ferner konnten Würtz und
Mitarbeiter in ihrer Studie durch ihre Umfragen an Schülern und Lehrern
feststellen, dass Probleme mit Gewalt mehr an Haupt- und Sonderschulen als an Gymnasien
oder Berufsschulen auftreten. Der Typus der Schule ist jedoch nicht der einzige
Faktor. Zusätzlich kommen Schüler in Haupt- und Sonderschulen aus Wohngegenden
mit gehäuften sozialen Problemen, entstammen oft zerrütteten
Familienverhältnissen (z.B. Alleinerziehende Elternteile, hohe
Arbeitslosigkeit) und Gewalt spielt so eine grössere Rolle in ihrem Alltag.
Dementsprechend stellen sich die Kinder und Jugendlichen auf diese
Alltagssituation beispielsweise durch Cliquenbildung und Bewaffnung ein. Die
befragten Lehrer an den verschiedenen Schulen jedoch zeichnen ein Bild welches
darauf schliessen lässt, dass Gewalt ein schulabhängiges Problem ist. So geben
Lehrkräfte an Gymnasien hauptsächlich über ein relativ geringes Gewaltvorkommen
an ihren Schulen Auskunft, währen Berufsschullehrer ein höheres Gewaltvorkommen
ausserhalb des schulischen Rahmens ihrer Schüler vermuten. Auch differenzieren
sie im Gewaltpotential der Schüler zwischen den einzelnen nach
Ausbildungsgängen. Ein weiterer interessanter, schulabhängiger Faktor sind
schulspezifische Konstellationen. So vermuten befragte Lehrkräfte von kleineren
Schulen mit überschaubaren Schülerzahlen und funktionierenden sozialen
Kontakten dass das Gewaltaussmass niedriger ist, im Gegensatz zu jenen Lehrern,
die an Schulen in Grossstädten und Ballungsgebieten unterrichten, wo oft ganze
Stadtviertel als soziale Brennpunkte gelten mit beispielsweise hoher
Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Armut und fehlenden Freizeitangeboten und wo
konzentriertere Gewalt in Erscheinung tritt. (ebd.)
In der Schule passiert die Gewalt
vorrangig in den Pausen oder im Sportunterricht aber auch im normalen
Unterricht. Gewaltauslöser sind hierbei aggressive Mitschüler aber auch
Lehrkräfte, die sich den aggressiven Mitschülern gegenüber hilflos fühlen und
entsprechen mit Wut reagieren. Auch die Unterrichtsstrukturen fördern nach
Meinung der Schüler einerseits Lustlosigkeit und Langeweile, andererseits
jedoch auch Konflikt- und Aggressionspotentiale. (vgl.
Würtz/Hamm/Willems/Eckert 1996, S. 93)
Im Bereich ausserhalb des
schulischen Rahmens eskaliert die Gewalt meistens von Seiten aggressiver
Cliquen in bestimmten Wohnvierteln, städtischen Problemgebieten, sowie auch
bestimmten Treffpunkten der Jugendlichen (Kneipen, Discotheken) nach Meinung
der Schüler. Diese wird als gefährlicher gesehen, weil hier die Aggression
meist von Gruppen ausgeht, deren Hemmschwellen bei ohnehin schon aggressiv
gestimmten Tätern durch Alkohol oder sonstige Drogen weiter gesenkt ist, oft
Waffen eingesetzt werden, Gewalt of spontanter Natur ist und Hilfe von Dritten
überwiegend nicht zu erwarten ist. Lehrer haben hingegen oft wenig oder keine
Kenntnis von der Gewalt ausserhalb der Schule und zentrieren Gewalt innerhalb
des schulischen Rahmens viel mehr. Es ist interessant, noch zu beobachten dass,
im Gegensatz zu ausserschulischer Gewalt, die Gewalt in der Schule eher von
Einzelnen ausgeht als von einer Gruppe. Der eingeschränkte Wahrnehmungshorizont
der Lehrer erscheint insofern problematisch, als dass er das wahre Ausmass von
Gewalt unter den Schülern richtig wahrnimmt. (vgl. Würtz/Hamm/Willems/Eckert
1996, S. 95)
Typische „Täter“ und „Opfer“
werden sowohl von Lehrern als auch von Schülern ähnlich beschrieben. Dies sind
offenbar immer dieselben Schüler, selten kommt es vor, dass immer andere
aggressiv handeln. Typische Merkmale solcher Schüler, wie von Lehrern und
Schülern beschrieben, sind auffallende Leistungsschwäche, Disziplinlosigkeit
und überwiegend sind die typischen „Täter“ männlich. Zusätzlich kommen auch noch
ein schwieriger Familienhintergrund und generelle Verhaltensstörungen hinzu.
Auch sind sie oft sozial benachteiligt und möchten durch gewalttätiges
Verhalten auf sich aufmerksam machen. Eine weitere, zahlenmässig ansteigende
Gruppe von Schülern kommt aus dem „mittleren Lebensbereich“ und hat eigentlich
intakte Familien und sozial relativ gute Verbindungen in den
Klassengemeinschaften. Diese Schüler haben nach Aussage der befragten Lehrer
oft Kontakt zu zweifelhaften Gruppen und Subkulturen ausserhalb der Schule und
neigen deshalb zu Aggressionen und Gewalt. Sozialhistorische Defizite bestimmen
oft das aggressive Verhaltensmuster der „schwierigen“ Schüler. Die verbale
Aggression wurde zum Teil sehr verinnerlicht. Diese Schüler haben es oft nicht
gelernt, Konflikte verbal auszutragen sondern lassen ihn eskalieren und
reagieren daraufhin schnell und handfest auf Provokationen. (vgl.
Würtz/Hamm/Willems/Eckert 1996, S. 97)
Ausserhalb der Schule sind es
Jugendcliquen die viel Aggressivität verbreiten, insbesondere sind rechts
orientierte Jugendliche nach Meinung der Schüler eine nicht zu verachtende
Quelle von Gewalt, denn viele Jugendliche aus dem mittleren Lebensbereich, die
frustriert und perspektivlos sind, aber auch solche mit Problemen im eigenen
Heim schliessen sich diesen Gruppen an. Sie finden demnach, obwohl vielleicht
die Familien teilweise als „intakt“ gelten zu wenig Akzeptanz in ihren
herkömmlichen sozialen Lebenswelten und wollen so diesen Mangel mit Ansehen und
Geltung in der Gruppe kompensieren. Drogen und Alkohol spielen überdies auch
eine nicht unermessliche, wenn nicht gar grosse Rolle in diesen gewaltbereiten
Gruppen. Hier handelt es sich, so Würtz/Hamm/Willems/Eckert, oft um Haupt- und
Sonderschüler die Leistungsschwächen aufweisen und somit wenig Bestätigung im
schulischen Umfeld finden. Sie „retten“ sich dann in diese Jugendgruppen (z.B.
Skinheads, Hooligans, „Linke“ oder auch Cliquen von Ausländern) und finden dort
eine Art Ersatzfamilie. Sie suchen Loyalität, Zusammenhalt und Solidarität und
werden in diesen Gruppen meistens fündig. Der Druck der andererseits innerhalb
der Gruppe vor sich geht, erschwert es dann diesen „Mitläufern“ von ihrem
aggressiven Verhalten wieder loszukommen. (vgl. Würtz/Hamm/Willems/Eckert 1996,
S. 98)
Aus der Sicht der Lehrer sind die
„Täter“ oftmals auch „Opfer“ gewesen oder haben eine doppelte Rolle und sind
beides. Beide Rollen schliessen einander nicht aus, obwohl die meisten Schüler
bei den Befragungen selten aus der Täterperspektive erzählen, sondern aus der des
Opfers. Schüler/innen die nur Opfer sind, sind of schwächere, jüngere oder
kleinere Schüler/innen und fallen äusserlich auf (z.B. durch Hautfarbe,
Sprachbehinderung, altmodische Kleidung oder Dickheit) und sind ebenfalls
schlecht in die Klassengemeinschaft integriert (Aussenseiter, Einzelgänger oder
Ausländer). Typisch für solche Opfer ist die fehlende Entwicklung von
Freundschaften. Die Betrachtung aus Schüleraugen variiert nicht sonderlich: Als
Opfer werden meistens solche Schüler gesehen, die durch irgendetwas „nerven“
also beispielsweise „Streber“ oder solche die entweder durch ruhiges oder aber
auch durch hyperaktives Verhalten auffallen und anderen dadurch einen Anlass
zur Provokation liefern. Dies trifft weitestgehend auf den schulischen Rahmen zu.
Ausserhalb davon kann, nach Beschreibung von (vorwiegend männlichen) Schülern,
jeder zum Opfer werden. Jugendliche geraten oft zufällig in einen Konflikt oder
eine Auseinandersetzung, weil Jugendcliquen sich aufgrund ihres
Bekleidungsstils beispielsweise provoziert fühlen und ihr aggressives Verhalten
dadurch rechtfertigen. (vgl. Würtz/Hamm/Willems/Eckert 1996, S. 98)
Wie aber fühlen sich die Lehrer
angesichts dieses Ausmasses von Gewalt? Die Studie von
Würtz/Hamm/Willems/Eckert (1996) offenbart eine grosse Unsicherheit und
Hilflosigkeit seitens der Lehrkräfte. Sie fühlen sich der Aggression nicht
gewachsen. Vor allem die Unübersichtlichkeit der meisten Tatsituationen werden
beklagt. Tatmotive und –anlässe lassen sich oft nur schwer rekonstruieren und die
verschiedenen Rollen nur schwer identifizieren. Auch das fehlende
Unrechtsbewusstsein vieler Schüler, die als Täter agieren und deren
Gleichgültigkeit und Brutalität in der körperlichen Gewalt erscheinen den
Lehrern besorgniserregend. Erfahrungsgemäss ist es oft so, dass sich andere
Schüler lieber aus dem Konflikt heraushalten, statt schlichtend einzugreifen.
Begründet werden diese Verhaltensweisen von Seiten der Schüler damit, dass es
sicherer ist, sich herauszuhalten und abzuwarten, als einzugreifen und möglicherweise
selbst ein Opfer zu werden. Die Lehrer führen dies meist auf mangelnde oder
falsche Erziehung der Eltern zurück und sehen darin ein kontraproduktives
Handeln seitens der Eltern. Die Autorität der Lehrkräfte werde zuwenig durch
Eltern unterstützt und die Aggressionen der Schüler noch zusätzlich angefacht,
wenn die Schüler von den Eltern aufgefordert werden „sich nichts gefallen zu
lassen, auf ihr Recht zu pochen oder sich zur Wehr zu setzen.“
(Würtz/Hamm/Willems/Eckert 1996, S. 100) Vermutet werden dann Probleme in der
Familie, wobei die Eltern oft wenig Einblick in den Familienalltag gewähren
lassen und sich gegen professionelle Hilfe durch Erziehungsberater oder
psychologische Betreuung zur Wehr setzen. In einer selbstkritischen Betrachtung
des Kollegiums sehen die Lehrkräfte, dass ausserdem intern eine mangelhafte
Auseinandersetzung mit dem Problem besteht. Oftmals steht das Kollegium nicht
geschlossen hinter einer Entscheidung und es gibt erhebliche
Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Lehrern. Ängste werden nicht genug
ausgesprochen und Erfahrungen nicht genügend ausgetauscht. Ferner sehen es die
Lehrer auch oft nicht als ihre Aufgabe an, soziale Arbeit zu leisten. Sie
fühlen sich nicht entsprechen ausgebildet und stehen wegen vordergründiger,
schulischer Strukturen auch unter Zeitdruck. Diese Verhaltensweisen werden auch
von den Schülern beobachtet und als hilflose Reaktionen bewertet. (vgl.
Würtz/Hamm/Willems/Eckert 1996, S. 101)
Gewalt an Schulen in
Form von Fremdenfeindlichkeit
Ein besonderes Problem, auf das
sowohl Schüler als auch Lehrer besonders eingegangen sind, ist die
Fremdenfeindlichkeit, die einen wesentlichen Teil der Konflikte und
Aggressionen in der Schule stellt. Beide haben eine Zunahme in der
Fremdenfeindlichkeit registriert. Während die Schüler jedoch einen allgemeinen
Anstieg in der Fremdenfeindlichkeit beobachten, sehen Lehrer eher bezogen auf
die Schule „vor allem den periodischen Wechsel zwischen der Zu- und Abnahme von
fremdenfeindlichen Haltungen und ausländerfeindlichen Stereotypen in
Zusammenhang mit dem jeweiligen Ausländeranteil an den Schulen.“
(Würtz/Hamm/Willems/Eckert 1996, S. 103) Lehrkräfte differenzieren innerhalb
der Fremdenfeindlichkeit zwischen ideologisch fundierter rechter Gesinnung und
ablehnenden Haltungen und Vorurteilen gegenüber Fremden, Ausländern und
gesellschaftlichen Randgruppen. Sie gehen davon aus dass die erstere Gruppe
eher selten ist und dass die überwiegende Mehrheit der fremdenfeindlichen
Schüler der zweiten Kategorie angehört. Obwohl Haupt- und Sonderschulen die
grösste Gewaltbereitschaft durch Fremdenfeindlichkeit zeigen, ist diese, wie
auch generell die Gewalt an Schulen, schulspezifisch verschieden zu betrachten.
Es gibt kein vereinheitlichtes Bild. Spezifische regionale Strukturen und der
spezielle schulische Kontext sind hier wichtige Faktoren. Beispielsweise spielt
der Ausländeranteil in der Region eine wichtige Rolle sowie auch die Grösse des
Einzugsbereichs der Schule und die Eingliederung der Ausländer in den
Schulbetrieb. Insbesondere Hauptschullehrkräfte sehen die Integration von
Ausländern als grösste Herausforderung an, denn zumeist werden die Kinder aus
Asylbewerberheimen kurzfristig den Hauptschulen zugewiesen und müssen dann
irgendwie integriert werden.
In Sonderschulen ist es die
Gefährdung der Fremdenfeindlichkeit zumeist eine andere. „Einfache Wahrheiten
reizen die Schüler, denn sie werden von ihnen begriffen“,
(Würtz/Hamm/Willems/Eckert 1996, S. 105) wobei aber nach Erfahrung der
befragten Lehrkräfte keine Verbindung zu politischen Ideologien hergestellt
wird.
Für Berufsschullehrer ist die
Bedeutung der Ausländerfeindlichkeit bei ihren Schülern eher im
ausserschulischen Bereich zu suchen. Gerade Berufsschüler sehen in den
Ausländern auch eine Konkurrenz um den Arbeitsplatz und erfahren diese
unmittelbar in ihren konkreten Berufsplänen. Innerhalb der Schule sehen sie
eher eine bewusste Konfliktvermeidung mit ausländischen Schülern und halten
sich mit fremdenfeindlichen Meinungen zurück. Die Schüler schalten bei sich
anbahnenden Auseinandersetzungen lieber ab und versuchen den Konflikt zu
umgehen, was aber nichts an ihrer Einstellung gegenüber den Ausländern ändert.
Lehrkräfte an Berufsschulen sehen durch die knappe Zeit und den Umfang des
Lehrplans wenig Möglichkeiten, auf die Probleme der Schüler einzugehen.
Lehrkräfte an Gymnasien sehen
sich beim Thema Fremdenfeindlichkeit eher in einer privilegierten Situation.
Der Ausländeranteil an Gymnasien ist eher klein im Vergleich zu anderen
Schularten und oft leben diese ausländischen Schüler schon lange in
Deutschland. Zum einen bringt dies den Vorteil dass sprachliche Barrieren hier
nicht relevant sind und zum anderen haben die meisten ausländischen Schüler
sich gut in das gesellschaftliche Leben integriert.
Die Lehrer aller Schularten heben
hervor, dass die fremdenfeindlichen Gesinnung der Schüler sehr wohl von den
eigenen Bemühungen und der Erziehung beeinträchtigt werden kann, jedoch sehen
sie als günstige Voraussetzungen dafür eine bessere Zahlenrelation (Klassenstärke,
Ausländeranteil) und genügend Zeit. Diese Ansicht ist vor allem in
Ostdeutschland verbreitet. Dort haben Lehrer auch beobachtet, wie an der Schule
rechtes Propagandamaterial in Umlauf ist und auch, dass rechtsgesinnte Gruppen
ausserhalb der Schule, aber im nahen schulischen Umfeld versuchen, Kontakte zu
Schülern zu knüpfen. Bei einigen fremdenfeindlichen Schülern vermuten die
Lehrer Schulungen und Einflüsse rechter Organisationen, da diese ihre Ansicht
mit fester Überzeugung und guten rhetorischen Argumenten äussern.
Die Schüler hingegen meinen, dass
die Problematik der Fremdenfeindlichkeit und Fremdenangst nur von wenigen
Lehrern und oft nur sporadisch angesprochen oder behandelt wird. Obwohl das
Problem offen registriert wird, scheint es von vielen Lehrern weitestgehend
ignoriert zu werden. Die meisten Lehrkräfte scheinen sich auf die Vermittlung
von Wissen zu beschränken, so die Meinung der meisten Schüler/innen.
(vgl.Würtz/Hamm/Willems/Eckert 1996, S. 107) Einen weiteren Grund in der
Fremdenfeindlichkeit sehen die Schüler/innen auch in einer diffusen Angst for
Fremden. Vorurteile werden durch die vorherrschenden sozialen Umfelder, wie
etwa das Elternhaus oder die Freunde, gebildet und es entsteht eine
Fremdenfeindlichkeit, die bei aggressiven Schülern dann in Gewalt eskalieren
kann. Jedoch haben die meisten Schüler keine konkreten negativen Erfahrungen
mit Ausländern gemacht. Die Verhaltensauffälligkeiten und das Aussehen der
ausländischen Schüler wird von deutschen Jugendlichen oftmals nicht verstanden
und als befremdlich angesehen. Zwar versteht die Mehrheit, dass den
ausländischen Jugendlichen mehr Verständnis gezeigt werden sollte, jedoch ist
eine praktische Umsetzung dieses Verständnisses oft ein Problem, da dies
sprachliche Barrieren und eigene Unsicherheiten oft erschweren. Je
unauffälliger sich ein ausländischer Schüler in der Klasse verhält, desto
leichter wird er von den Mitschülern akzeptiert. Die Integration der
ausländischen Schüler hängt also vielfach von der Anpassungs- und Integrationsfähigkeit
ihrer selbst ab. (vgl. Würtz/Hamm/Willems/Eckert 1996, S. 110)
Ebenfalls haben die Diskussionen
mit Schülern hervorgebracht, dass speziell Fremdenfeindlichkeit, ähnlich wie
bei den Lehrern, von Schultyp und regionalen Bedingungen abhängen. Regional
gesehen zeigt es sich, dass in Gebieten mit bereits jahrelangem hohem Anteil an
Ausländern eine höhere Toleranz und Akzeptanz der Ausländer besteht als in
jenen Gebieten die keinen so hohen Anteil haben und in denen das Umgehen mit
diesen nicht erlernt werden konnte (wie z.B. in den neuen Bundesländern).
Speziell in Ostdeutschland bringen sowohl Lehrer als auch Schüler den Anstieg
der Kriminalitätsrate sowie den steigenden Anteil an fremdenfeindlicher Gewalt
in Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Umbrüchen nach der Wende. In ihrer
Gesamtheit gesehen machen die Aussagen von Schülern und Lehrern also deutlich,
dass fremdenfeindliche Einstellungen und Haltungen insbesondere in
Problemgebieten einen fruchtbaren Boden für Gewalthandlungen gegen Ausländer finden.
(vgl. Würtz/Hamm/Willems/Eckert 1996, S. 110)
Gewaltprävention
Der Begriff „Gewaltprävention“
ist kein sehr alter Begriff. Angelehnt an die Begriffe wie der Sucht- oder
Drogenprävention oder der AIDS-Prävention entstand er in der öffentlichen Diskussion
über Gewalt in den neunziger Jahren. Jedoch hat der Begriff „Prävention“
bereits eine längere Geschichte. Er ist ein in Mode gekommenes Wort, und wird
in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens zur Sprache gebracht. So
diskutiert man in den Vereinten Nationen (UNO) über präventive Massnahmen, das
Kinder- und Jugendhilfegesetz versteht sich als „Präventionsgesetz“. Dann gibt
es beispielsweise noch Kriminalpräventive Räte, Suchtprävention usw. Verstanden
wird darunter wohl etwas, dem das Wort „Problemvorbeugung“ am Nächsten kommt.
Unter dieser Definition sollen im folgenden Konzepte, Methoden und Massnahmen
mit vorbeugendem sowie korrigierenden Charakter, also auch Intervention
vorgestellt und besprochen werden.
„Prävention hat – wie jedes andere
pädagogische Handeln – eine paradoxe Struktur, indem es z.B. einen Prozess
gestalten soll, der sich der Gestaltung weitgehend entzieht und bei dem die
Effekte ungewiss sind.“ (Schubarth 2000, S. 129) Prävention will ausserdem noch
nicht sichtbare Probleme bekämpfen, vorbeugend wirken. Wie schon erkennbar, ist
der Begriff „Prävention“ und damit auch „Gewaltprävention“ ein unscharfer und
wissenschaftlich schwer umgänglicher Terminus. Es gibt keine festgelegte
„richtige“ Definition, nur ein allgemeines Verständnis für den Begriff.
Allgemein wird also verstanden, dass Prävention Massnahmen bezeichnet, die zur
Vorbeugung oder Minderung von zukünftigen Störungen, Beeinträchtigungen oder
Schädigungen beitragen.
Unter diesem Gesichtspunkt möchte
ich die im folgenden vorgestellten Massnahmen und Methoden sehen, denn um sie
mit den unzähligen verschiedenen Definitionen des Präventionsbegriffes zu
beleuchten, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
Gewaltprävention an
Schulen
Da die Ursachen von Gewalt in der
Schule vorwiegend im ausserschulischen Bereich liegen, die Gewalt selbst sich
aber auch im schulischen Rahmen äussert, sollten gewaltpräventive Massnahmen
nach Meinung von Schubarth „...stets beide Bereiche erfassen. Dies erfordert
vor allem eine intensivere Zusammenarbeit der Institution Schule mit anderen
Institutionen, insbesondere der Jugendhilfe.“ (Schubarth, 2000, S. 114)
Ausserdem müssen die beiden Sozialisationsfelder Schule und Familie für eine
stabilere Entwicklung der Identitäten von Kindern und Jugendlichen enger
zusammenwirken. Schubarth schliesst aus seiner Forschungsarbeit ausserdem noch
andere Folgerungen für eine erfolgreiche Gewaltprävention. Da die Ursachen und
Voraussetzungen von Gewalt sehr komplex erscheinen, sind einzelne Massnahmen zu
kurz. Es müssen umfassende Konzepte und Programme angewendet werden, die
Faktoren die beispielsweise das schulische sowie das ausserschulische Umfeld,
Förderung, Kontrolle, das Eingehen auf den Einzelnen und seine Hilfestellung
und Hilfe für alle berücksichtigen.
Lothar R. Martin hat in seinem
Buch „Gewalt in Schule und Erziehung. Grundformen der Prävention und
Intervention“ zwölf Grundformen der Gewaltprävention dargestellt (siehe
Anhang). Zudem hat er im Zusammenhang von Prävention und Intervention die drei
Ebenen der Prävention nach Caplan verdeutlicht. „Erstens die primäre Prävention
als Vorbeugung in den normalen
Interaktionsfeldern und Institutionen der Familie, Schule, Arbeit,
Freizeit usw., zweitens die sekundäre Prävention als Einwirkung gegen die
Verfestigungen von Störungen, aggressiven Verhaltenstendenzen usw. bei von
Abweichung bedrohten Personen und Gruppen sowie in den sie umgebenden
Bedingungsfeldern und Strukturen und drittens die tertiäre Prävention als
gezielte Intervention bei massiven Problemen, z.B. in persönlich und/oder
gesellschaftlich inakzeptablen Fällen abweichenden Verhaltens und Erlebens
sowie Massnahmen der Resozialisierung und Verhütung von Rückfällen.“ (Caplan
1964 in: Martin, 1999, S. 95) Die Grenzen der drei Ebenen sieht er jedoch als
fliessend an. Oft stellt sich erst im Verlauf einer Beratung heraus dass
der/die Ratsuchende massive psychosoziale Probleme hat. Auch die genannten
Bedingungsfelder sind schwer eindeutig zu unterteilen (z.B. das ein
Bedingungsfeld nur primärer Prävention bedarf), denn durch gleiche Bedingungen
können in verschiedenen Personen verschiedene Störungen und/oder Probleme
entstehen, da diese unterschiedlich empfindlich auf jene Bedingungen reagieren.
Auf allen drei Ebenen ist es deshalb erforderlich zu kooperieren. Für die
primäre Prävention sind ja meist Eltern, Erzieher oder Lehrkräfte ohne
spezielle Ausbildung für Prävention zuständig, während die anderen beiden
Ebenen geschulten Fachkräften (z.B. Therapeuten) überlassen werden. Doch gibt
es natürlich in allen drei Feldern Überlappungen, wie beispielsweise in den
Schulen: zum Teil haben Lehrkräfte eine gute pädagogisch-psychologische
Ausbildung (z.B. jene in Sonderschulen für schwer erziehbare Kinder), die sie
einsetzen können. Auf allen Ebenen ist eine kooperierende Einstellung und
Arbeit mit Helfern verschiedener Art notwendig (Ärzte, Therapeuten, Lehrer,
Psychologen, Sozialpädagogen), denn oft kann ein Therapeut, der mit einer
verhaltensgestörten Person mit Problemen die der tertiären Prävention bedürfen,
nur schwer arbeiten, wenn er/sie nicht mit von Lehrern fachkundige Mitwirkung
erfährt. Auch werden Psychotherapeuten an ihre Grenzen stossen und Kollegen mit
einer anderen therapeutischen Methode um Mithilfe oder Übernahme bitten. (vgl.
Martin 1999, S. 96)
Die zwölf Grundformen
der Gewaltprävention nach Lothar R. Martin
Martin hat deshalb seine
Reihenfolge der zwölf Grundformen der Gewaltprävention auch pragmatisch
gegliedert, da sie oft übergreifend sind und sich gegenseitig nicht
ausschliessen. Auch sind sie nicht monotheoretisch gegliedert, sondern basieren
vielmehr auf mehreren Theorien, welche eine Form tragen. Beispielsweise kann
die Förderung der Identität eines Kindes von Konzepten der Tiefenpsychologie,
der Soziologie, der empirischen Psychologie oder der pädagogischen
Bildungslehre gefordert werden (siehe Anhang). Somit ist auch der
Handlungsspielraum vielfältiger.
Grundform 1: „Raum geben – Schulleben ermöglichen“
Die Erste Grundform die Martin
vorstellt, heisst „Raum geben – Schulleben ermöglichen“. Menschen brauchen
Räume um ihrer Entwicklung und Selbstentfaltung gerecht zu werden. nicht anders
ist es daher auch bei Kindern und Jugendlichen, deren Räume aber kind- und
jugendgerecht gestaltet sein müssen. Diese Räume müssen ihnen vermitteln, dass
sie von Erwachsenen gemocht und akzeptiert werden, sie müssen in der Lage dazu
sein, Kräfte zu erproben und zu bilden und eine Ich-Stärke gewinnen zu können.
Sie haben das Recht darauf, dass ihre Menschenwürde geachtet wird. Der Raum den
Kinder und Jugendliche benötigen soll gross genug sein, um eine quantitative
und qualitative gesunde körperlich-seelische, geistige und soziale Entwicklung
zu ermöglichen. Wenn dies nicht geschieht, entsteht unter den Kindern und
Jugendlichen ein Kampf um Lebens- und Entwicklungsraum und gegen die
Erwachsenen entlädt sich aggressiver Protest wegen Vorenthaltung der
Grundbedingungen zur Menschwerdung. „Raumgewährung gehört u.a. [auch] in ein
Aufgabenfeld, das Beratungswissenschaftler- und Pädagog/innen nicht missachten
sollten: Systemberatung. Wirksame Gewaltprävention erfordert, dass die Kenner
der Gewaltphänomene und ihrer Ursachen – Praktiker und Theoretiker – Wege
finden und nutzen, um ihr Wissen den gesellschaftlichen Entscheidungsträgern
mitzuteilen und Notwendigkeiten und Methoden der Abhilfe aufzuzeigen.“ (Martin
1999, S. 99) Pädagogisch wichtig ist ausserdem noch die präventive
Bereitstellung, Nutzung und Gestaltung von Freizeiträumen für Kinder und
Jugendliche, die ihnen genügend Räume zur Entwicklung gewähren. Ferner ist es
auch in der Schule wichtig, ein gutes Umfeld zu gestalten und zwar nicht nur in
pädagogischer Hinsicht sondern auch in optischer und gestalterischer. Bei Bau
und Einrichtung von Schulgebäuden und Klassenzimmern sind pädagogisch wichtige
Gesichtspunkte zu beachten, die einer gesunden Entwicklung nicht im Wege
stehen. So werden beispielsweise in der Lebenswelt Schule bereits einige
Gestaltungen vorgeschlagen und praktiziert (z.B. Freiarbeitsräume, Sitzecken,
Leseecken mit Matratzen zum Lesen, Tische für Einzel- und Gruppenarbeiten,
usw.). Auch Gärten und Biotope werden zunehmend angewendet. Zum Ziel haben
diese Gestaltungen das Heimischwerden der Schüler an ihrer Schule und eine
Identifikation mit ihr, sowie Kreativitätsförderung, individuelle
Nutzungsmöglichkeiten, die Entwicklung eines Mitverantwortungsgefühls und die
Transparenz des Schullebens. Diese Bemühungen zielen auf unterschiedliche Lern-
und Erholungswelten ab. Diese sollten aber mit den Schülern gemeinsam
entwickelt werden, um allen ein Gefühl zu geben, Teil dieser Entwicklung zu
sein. Dies alles ist nicht leicht zu bewerkstelligen und von den Lehrern ist in
vieler Hinsicht Feingefühl, Fachkompetenz, Einfallsreichtum und Erfahrung
gefragt. (vgl. Martin 1999, S. 105)
Grundform 2: „Frustration abbauen – Regeln achten –
Fairness üben in Sport und Spiel“
Die zweite Grundform die Martin
herausgestellt hat, ist „Frustration abbauen – Regeln achten – Fairness üben in
Sport und Spiel“. Sport hat aus dem Blickwinkel der Gewaltprävention zwei
Aspekte die herausragen. Zum einen werden körperliche Betätigungen, Spiele und
Wettkämpfe als Ausgleich von seelischen Anspannungen oder Konflikterlebnissen
ausgetragen, zum anderen können sie auch sehr mit Aggression verknüpft sein.
Man kann den Sport nicht ganz als Mittel zum Aggressionsabbau oder ihrer
Verhinderung sehen, er ist dafür kein Patentrezept.
Ethologen betrachten den Sport im
Rahmen von „Ventilsitten“. Demnach ermöglicht sportlicher Wettkampf dem
Menschen, seine Aggressionen in ritualisierte Formen zu kanalisieren und
auszuleben. Sie stellen dann auch fest das sich durch Kampfsportarten „sowohl
gewisse kurzfristige „karthatische Effekte“ erzielen lassen als auch ein
gewisses Training in aggressivem Handeln stattfindet.“ (Eibl-Eibesfeld 1997, in: Martin 1999, S. 106) Lerntheoretiker
stellen dem gegenüber, dass durch gewisse Sportarten Gewalttätigkeit im übrigen
Leben vermindert werden können. Jedoch sind beide Ansätze nicht zwingend. Die
richtige Fragestellung müsste also nicht zum Ziel haben herauszufinden, ob
Sport und Spiel Friedfertigkeit erzeugen, sondern ob sportliche Wettkämpfe
aggressive Neigungen abbauen und dabei helfen können, prosoziales Verhalten
aufzubauen und wie Lehrkräfte und Erzieher diese Prozedur fördern können. In der
Sportdidaktik wird bestätigt, dass der Sport insbesondere in der Schule dazu
beitragen soll, Fairness, Solidarität, Regelbewusstsein und Kooperation zu
lernen und zwischenmenschliche Kontakte zu fördern. Generell fördert er den
Stress und Aggressionsabbau, aber nicht gezielt. Jedoch ist die
gewaltpräventive Wirkung die der Sport ausübt, nicht auf die rein körperliche
Betätigung zurückzuführen, sondern auch auf Erfolgserlebnisse,
Selbstbestätigung, Kommunikation, Identifikation, das Lernen prosozialer Verhaltensweisen
und das Gemeinschaftsleben. Also kommen beim Sport auch kognitive und
motivationale Prozesse zum Zug. Auch umgekehrt kann der Sport Aggression
fördern, wie beispielsweise bei zwanghaftem Leistungsstreben, welches
psychosomatische Störungen hervorrufen kann. Somit ist es entscheidend, dass
gewaltpräventive Massnahmen im Sportunterricht durch prosoziale Lernziele,
Übungen und Spiele angewendet werden können. Eine Möglichkeit ist die wichtige
Bedeutung von Regeln im Sport. Spielregeln und Fairness-Gebote können durch
angemessene Auswahl der Spiele und Übungen gelernt und „durch
Schiedsrichterverhalten, Bewertungssysteme und psychologisch fundierte
Unterrichts- und Sportleitermethodik gefördert werden.“ (Martin 1999, S. 111)
Auch können Fair-Play-Massnahmen fächerübergreifend wirken, wenn mit anderen
Schulfächern kooperiert wird und Fair-Play Methoden z.B. mit dem öffentlichen
Leben (z.B. Politik) verglichen werden. Auch in der sozialpädagogischen Kinder-
und Jugendarbeit spielt Bewegung und Sport eine bedeutende Rolle, da dadurch
der Einengung von Bewegungsräumen und dem daraus folgenden Mangel an
Eigenerfahrungen entgegengewirkt werden kann. Beispiele für solche sportlich
geprägten, pädagogisch wirkvollen Massnahmen sind Strassensport, Mitternachtssport,
Ausbildung von Jugendleitern in sportlicher Betätigung, usw. (vgl. Martin 1999,
S. 113)
Grundform 3: „Miteinander reden – Einander
verstehen“
Mit der dritten Grundform der
Gewaltprävention „Miteinander reden – Einander verstehen“ spricht Martin die verbale
Gewalt an. Diese gehört besonders im schulischen Rahmen zu einer sehr häufigen
Gewalthandlung. Auch Vandalismus ist hier durch Wandschmierereien, Hetzparolen
gegen Lehrkräfte oder Ausländer vertreten. Verbale Gewaltprävention ist deshalb
so wichtig, weil das Sprachverhalten grundlegend die Qualität der Beziehungen
besonders im Schulbereich aber auch allgemein gesehen beeinflusst. „Dies liegt
vor allem an der zentralen Bedeutung, welche Sprache und damit auch Kognitions-
und Kommunikationsabläufe für sämtliche aggressionssteigernden Prozesse [eine
Rolle spielen.] Die von der Psychoanalyse aufgezeigte Stärkung vs. Schwächung
der Ich-Funktionen, die Entstehung von Misstrauen und Schuldgefühlen, von
Minderwertigkeitsgefühlen oder Überlegenheitsstreben vollziehen sich in der
Kommunikation, besonders in der Familie und der Schule.“ (Martin 1999, S. 114)
Auch Frustrationen werden überwiegend durch üblen Sprachgebrauch
(Beschimpfungen, Herabsetzungen, Versagungen) erzeugt. Andersherum erzeugen
positiv wirkende Gespräche, Wärme, Verständnis und Empathie eine positive
Ausstrahlung und bauen Frustration ab. Tadel und Lob, sowie Kognitionen,
Wertebildung, Vorausschau und Beurteilung sprachlicher Art sind sowohl beim
Bekräftigungslernen, sowie beim sozial-kognitiven Lernen erheblicher
Bestandteil der Wertevermittlung. Gewalt scheint hauptsächlich durch
kommunikative Desintegration, gestörte Kommunikation und Beeinflussung der
Ich-Identitätsbildung (alles Dinge die mit Sprache zu tun haben) hervorgekommen
zu sein und fehlende Empathie gilt in fast allen psychologischen
Erklärungsansätzen (humanistische Psychologie, Individualpsychologie oder
symbolisch-interaktionistische Sozialpsychologie) als Auslöser von Identitäts-
und Verhaltensbeeinträchtigungen und -störungen. Bei Kindern und Jugendlichen
scheinen sich zahlreiche Mängel in der Kommunikation sowie
Sprachentwicklungsstörungen sowohl untereinander als auch zu Autoritätspersonen
wie beispielsweise Lehrer oder Eltern feststellen zu lassen. Schuld daran sind
oft übermässiger und unkontrollierter Umgang mit Medien sowie ein gestörtes
Verhältnis zwischen Eltern und Kind sowie die nachbarschaftlichen Umfelder und
Lebenswelten in die ein Kind hineinwächst. Gruppen die vermehrt Gewalt ausüben
haben oft Beeinträchtigungen in der Kommunikation zu verzeichnen. Besonders
ausländische Kinder kommen dann oft in eine sprachlich bedingte
Desintegration-Verunsicherung-Gewalt-Spirale. Schwere Beeinträchtigungen der
Persönlichkeit können dadurch entstehen, aber auch der sogenannte Semilingualismus
(doppelte Halbsprachigkeit) übt dann seinen störenden Einfluss auf die
Persönlichkeitsentwicklung aus.
„Die Grundform der
Gewaltprävention „Miteinander reden – Einander verstehen“ besteht [...] aus
angemessenem Sprachunterricht.“ (Martin 1999, S. 115) Speziell ausländische
Kinder sollten hiervon profitieren, um sich aus einer
Randgruppenidentifizierung lösen zu können. Ein bilingual-bikulturelles Konzept
sollte auch im Deutschunterricht mit eingebaut sein, um psychologischen
Problemen der Marginalität aus dem Weg zu gehen. Obwohl natürlich die
Beherrschung der Sprache tragende Vorraussetzung für einen fliessenden
ungestörten Umgang ist, heisst „Deutsch können“ nicht, dass man einander
verstehen kann. Deshalb ist die zweite Aufgabe im deutschen Sprachunterricht
(aber auch in anderen Schulfächern) das „Verstehen lernen“, was aber auch als
Aufgabe der ausserschulischen und vorschulischen Institutionen gesehen wird.
Die meisten Kommunikationsprobleme, die später zu gewalttätigen Handlungen
führen, geschehen in der Schule. Um das „einander Verstehen“ zu lernen bedarf
es von Seiten der Lehrer äusserstes Feingefühl, denn schon geringschätzige,
amtsautoritär-unechte Äusserungen der Lehrkräfte gegenüber Schülern wirken sich
bei diesen auf deren Ängstlichkeit, die gespannte Klassenatmosphäre, auf deren
Tendenz zu Widerstand und häufigen Unterrichtsstörungen, deren Vorurteile und
Denkweisen aus. Ferner werden mit dem Kommunikationsproblem des wirklichen
Verstehens auch extreme Kritiksucht und Aggressionen und geringe Entwicklung
von Selbständigkeit und sozialer Verantwortung verknüpft. (vgl. Martin 1999, S.
116)
Innerhalb und ausserhalb der
psychologischen Beratung in solchen Fällen gelten deshalb empathische
Verhaltensweisen als grundlegend für die Entwicklung von prosozialen
Einstellungen und Verhaltensmustern. Emotionale und kognitive Prozesse spielen
zusammen und wirken sich auch darauf aus, wie ein Mensch moralische Urteile
fällt. Bei einer Umfrage unter Klienten wurde festgestellt, dass diese folgende
Dinge in der Kommunikation als die Wichtigsten halten und als aufeinander
aufbauend sehen: „das Erlebnis, ernst genommen und verstanden zu werden,
Akzeptanz und Ermutigung, positives Selbstwertgefühl, das Gefühl, einen Helfer
bei der Lösung von Problemen zu haben, Förderung der Selbstexploration, Abbau
von Abwehrmechanismen (dadurch tieferes, klareres Verständnis der Realität),
Stärkung von Eigenverantwortung, Entwicklung von Problemlösungen, Förderung
prosozialer Einstellungen und Verhaltensweisen.“ (Martin 1999, S. 117) Eine
wirksame Gewaltprävention erfordert Änderungen, so dass besonders
benachteiligt, desintegriert und verunsichert fühlende Schüler besser
verstanden und akzeptiert werden und gewalttätiges Handeln keine alternative
Lösung mehr ist. Jedoch ist das „Einander verstehen lernen“ vornehmlich Aufgabe
der elterlichen Erziehung und Sozialisation in der Familie und sollte in der
Schule vorwiegend in den geisteswissenschaftlichen Fächern (Sprache, Literatur,
Geschichte, Kunst, Philosophie) seine Auftragsausführer finden. Martin meint
dass „nur wenn Lehrer- und Schüler/innen wirklich auf die Gedanken, Gefühle,
Motive usw. der anderen eingehen und angemessen darauf reagieren, das
Unterrichtsgespräch zum Lernerfolg und Persönlichkeitswachstum aller führen
[kann]“ (Martin 1999, S. 119) wobei dann auch die Lehrkräfte von den Schülern
lernen. Erwähnt sei hier noch, dass die erziehungspsychologischen,
therapeutischen und beratungswissenschaftlichen Konzepte allesamt
Kommunikationsregeln für Einzel- und Gruppengespräche anbieten. Am bekanntesten
ist wohl Th. Gordons Konzept des „aktiven Zuhörens“. Im Kern geht es darum,
dass „Aktives Zuhören“ bei den Helfern meist zur Verbalisierung dessen führt,
was sie ihrem Klienten entnommen haben, sie kreieren dadurch kurze
„Spiegelungen“. Dadurch werden die Vorgänge der Öffnung und Selbstexploration
und die selbständige Erarbeitung einer Problemlösung gefördert. (vgl. Gordon
1977 in: Martin 1999, S. 120) Auch andere Konzepte empathischer Gespräche die
mehr schüler- und unterrichtszentriert angewendet werden können, sowie neuere
verhaltensorientierte Gewaltpräventionsprogramme, können das differenzierte
Wahrnehmen von Situationen und Personen, das Ausdrücken von Gefühlen, die
sichere Interpretation von Körpersignalen und das Einfühlungsvermögen stärken.
Beispiele dafür sind kooperatives Lernen und Gruppenarbeit, Regelsetzungen und
Entspannungsübungen, systematische Rollenspiele, Interaktionsübungen mit
Bildmaterial und Geschichten.
Grundform 4: „Interagieren – Identität fördern“
„Miteinander reden – Einander
verstehen“ bildet nur einen Teil menschlicher Interaktion. Deshalb hat Martin
in seiner vierten Grundform der Gewaltprävention auch „Interagieren – Identität
fördern“ in den Vordergrund gestellt. Menschliche Interaktion bedeutet
gemeinsames, sich gegenseitig beeinflussendes Handeln. Dieser Prozess wird
jedoch auch für die Entstehung von abweichendem, spezifisch aggressivem
Verhalten verantwortlich gemacht. Dies erscheint überraschend, den
Gewalttätigkeit selbst ist Teil dieser nicht nur einseitig geschehenden
Aktionen und Interaktionen. Addressaten und Opfer sind dabei, an die diese
Aktionen gerichtet sind. Unter der Hinzunahme von familiären, schulischen und
gesellschaftlichen Bedingungen sieht man dann, dass Gewalthandlungen in sehr
verzweigte Interaktionsprozesse, welche ganze Gesellschaften (z.B. durch Krieg)
bewegen können, eingebettet sind. Menschliche Interaktion ist zudem auch das
Medium, über welches Jugendliche und Kinder sich sozialisieren und ihre
Identität entwickeln. Wie können sich also Kinder und Jugendliche zu Personen
entwickeln, die Gewalt ablehnen und ihr entgegentreten? Zur Identitätsfindung
junger Menschen gehören auch fundamentale Fragen (Wer bin ich? Was kann ich?
Wer und was möchte ich sein? Wofür möchte ich mich einsetzen?) auf die sie
selbst fortführende Antworten finden müssen. Für diese Entwicklung sind also
nicht nur die oben genannten Gespräche und Verständnis notwendig, sondern auch
Möglichkeiten des Handelns. Allein schon im Klassenraum werden durch
Wissenserwerb, Aufforderungen zum Handeln, Appelle zu Stellungnahmen und
Entscheidungen Handlungsräume geschaffen. So ist eine Gewaltprävention auch in
der Unterrichtsgestaltung wichtig. Sie „müsste jedenfalls all jene Prozesse
verhindern, durch die unannehmbare Benachteiligungen, Frustrationen,
Verunsicherungen, Etikettierungen erzeugt und Einzelschüler/innen und Gruppen
in Aussenseiterpositionen gedrängt werden, in denen beschädigte Identität,
anti-soziale Werteinstellungen und aggressive Neigungen entstehen.“ (Martin
1999, S. 124) Das Unterrichtsziel ist derzeit in der öffentlichen Diskussion
auf das Prinzip der Lernleistung fixiert, was sich sehr kontraproduktiv auf die
Gewaltprävention auswirkt. Schon die Interaktionsform „Drannehmen“ von Schüler/innen
erweist sich vielfältig als ungerecht und steigert Spannung und Aggression.
Auch die Notengebung ist nicht frei von stereotypen Vorurteilen seitens der
Lehrkräfte. Schlechte Prognosen der Schüler/innen bestätigen sich dann als
„self-fulfilling prophecies“ (Selbsterfüllende Voraussagen) und Schüler/innen
werden etikettiert. Lehrer/innen sollten demnach, um Gewalt vorzubeugen
sozialintegrative Methoden einsetzen, schülerzentriert arbeiten und den
Unterricht in eine offene Schulstruktur einbetten, so Martin. Dies ist
problematisch, denn so richtig diese Vorschläge auch sein mögen, es fehlen
einfach Unterrichtselemente darin die einfach notwendig sind (Klassenarbeiten,
Ordnungsmassnahmen, womöglich auch Strafen) und ausserdem haben diese
Vorschläge alle ihre Wirkungen und Nebenwirkungen die ebenfalls zu beachten
sind. Um im Unterricht also identitätsfördernd zu arbeiten, sollten sich die
Lernenden von wesentlichen Inhalten (Tatsachen, Erkenntnissen, Erfahrungen,
Problemstellungen oder künstlerischen Formen) zum Lernen, Bewerten,
Stellungnehmen, Planen und Handeln herausgefordert fühlen und in der Gruppe
Arbeits- und Sichtweisen anderer kennenlernen. (vgl. Martin 1999, S. 125)
Unterricht soll also den Prozess der Identitätsbildung fördern und zwar durch günstige
Interaktionsformen. „...Die sich herausbildende Identität der Jugendlichen, ihr
Fähigkeits-, Werte-, Zukunftsselbstbild, soll durch ihn realistisch, kraftvoll
und flexibel werden, so dass die Heranwachsenden auf Anforderungen der Welt
angemessen, und ohne zu zerbrechen, reagieren können.“ (Martin 1999, S. 126)
Wenn dies gelingt, wird der Unterricht in seiner Gesamtheit generell
gewaltpräventiv wirken können. Ausserdem sollte noch die Möglichkeit
hinzukommen, Themen und Werte der Erziehung zu Toleranz, Achtung und Frieden
ebenfalls zum Gegenstand des Unterrichts, vor allem in den
geisteswissenschaftlichen Fächern, zu machen.
Unterrichtsinhalte sind also
wichtige Mittel für die Identitätsbildung, insbesondere für Erziehung zu
Toleranz und friedlichem Umgang und auch zum Widerstand gegen Gewalt. Wie oben
bereits erwähnt, spielen besonders die geisteswissenschaftlichen Fächer hier
eine Rolle, deren Inhalte oft mit dem Vermitteln von Werten verknüpft werden
kann. Trotz der aufgezeigten Möglichkeiten zeigt sich, dass
Interaktionsangebote für die sozialen Lebenswelten von Jugendlichen immer noch
zu einseitig sind. Deshalb wurden Methoden der Interaktionspädagogik
entwickelt, die Lehrkräften und Erziehern vielfältige Möglichkeiten zur
Förderung der Identität bieten können. Beispiele dafür sind Interaktionsspiele
und –übungen, welche Offenheit für eigenes Erleben und eigene Erfahrung oder
die Sensibilisierung für Situationen, Probleme und Gefühle anderer fördern.
Diese Spiele dienen auch als Bewältigung von Entwicklungsproblemen und als
Gewaltprävention. Der Vorteil dieser Interaktionsübungen ist, dass Jugendliche
praktisch erleben, was in der Theorie als Ziel solcher gesehen wird:
Entwicklung der Identität durch Interaktion, dessen Nebenwirkung
gewaltpräventives und gewaltvermeidendes Handeln und Denken ist. (vgl. Martin
1999, S. 129)
Grundform 5: Medienkonsum – Durch Medien lernen“
In der modernen Gesellschaft von
heute gehören moderne Medien (Fernsehen, Video, Computerspiele usw.) zu den
Vermittlern von Gewaltdarstellungen. Martin hat in seiner fünften Grundform der
Gewaltprävention „Medienkonsum – Durch Medien lernen“ verschiedene präventive
Ansätze dazu aufgezeigt.
Kinder und Jugendliche sind die
wohl eifrigsten Konsumenten solcher Medien. Die Ursachen dafür sind komplexer
Natur. „Entwicklungstendenzen in der Gesamtgesellschaft, in den Familien,
Arbeitsstätten, Schulen und Altersgruppen und solche in den Medien
finanzierenden, produzierenden und verbreitenden Anstalten verstärken sich
gegenseitig.“ (Martin 1999, S. 129/130) Die Beziehungsstrukturen der
Jugendlichen und Kinder sind lockerer geworden und lassen weniger
offensichtliche Einflüsse der verschiedenen Bezugsgruppen zu. Auch die
Massenmedien haben begonnen, an Einfluss zu gewinnen, der durch paradoxe Normen
und Modelle charakterisiert ist. Die Häufigkeit der Gewaltszenen im
Fernsehen (im Durchschnitt etwa fünf
stündlich pro Sender (vgl. Groebel 1995 in: Martin 1999, S. 130) also rund
3.500 pro Woche) besteht zweifellos und ist unter anderem das Resultat von
wirtschaftlichem Konkurrenzdruck, der bewirkt, dass im Zweifelsfall „stärkere“
Bilder gezeigt werden, da diese oft sensationshaltiger sind. Eine Einstellung
in der man klar Marketing-Strategien erkennen kann. Dies wirkt sich auch auf
die Fernsehgewohneiten der Kinder und Jugendlichen aus, die besonders
gewalttätige Sendungen am häufigsten sehen. Die Argumente der Vertreter von
kommerziellen Sendern gegen Gewaltausstrahlung des Fernsehens sind
widersprüchlich. Zum einen bestreiten sie die Wirksamkeit des Fernsehens,
aggressives Verhalten zu fördern, andererseits verkaufen sie jedoch
Werbezeiten, überzeugt davon, dass dadurch das Konsumverhalten der Zuschauer
beeinflusst wird. Beides passiert durch dieselben Lernprozesse. Doch haben
Wissenschaftler nachweisen können, dass etwa vier Prozent des späteren
aggressiven Verhaltens durch vorausgehende Fernsehgewalt erklärt wird. Obwohl
dies für die Gesamtheit sehr niedrig ist, hat es dramatische Effekte auf
bestimmte Problemgruppen (z.B. psychisch gestörte Kinder und Jugendliche).
(vgl. Martin 1999, S. 136) Vollbrecht erwähnt
ausserdem noch, dass keine neuere Studie den Abbau von Aggressionen
durch Mediengewalt belegt und dass Medien und ihre Wirkungen oft auch mit dem
sozialen und gesellschaftlichen Umfeld des Zuschauers zu tun haben und darin
eingebettet sind. Ausserdem spielt noch eine Rolle, wieviel alternative
Erfahrungen ausserhalb des Medienbereichs gemacht werden. Je weniger
alternative Erfahrung besteht, desto grösser ist die Chance, dass die Medien das
Handeln und Verhalten von Kindern und Jugendlichen beeinflusst. (vgl.
Vollbrecht 2001, S. 171)
Die Erziehungsaufgaben der Eltern
sind in dieser Hinsicht schwieriger geworden. Zunächst unterliegen die Eltern
meistens selbst der Faszination der Medien und können so nur beschränkt auf den
Konsum ihrer Kinder einwirken, weil sie meistens nicht wissen, welche Sendungen
ihre Kinder konsumieren. Grundsätzlich sind deshalb elterliche Einflüsse auf
den Medienkonsum ihrer Kinder in mehreren Stufen nötig. Das Interesse am Kind
ist wichtig, ihm zu zeigen das es sie, die Eltern interessiert, was die Kinder
konsumieren. Gleichzeitig sorgt dies dafür, dass Eltern genügend darüber
informiert sind, womit ihre Kinder sich in der Freizeit abgeben. Zum Zweiten
ist eine Beeinflussung von Häufigkeit und zeitlicher Begrenzung für die
Beschäftigung mit den Medien notwendig. Drittens sollten die Eltern Einfluss
haben auf die Filme, Videos und Computerspiele, welche ihre Kinder
beschäftigen. Zum Letzten ist es wichtig und notwendig, die Verarbeitung des
Konsumierten zu unterstützen, beispielsweise durch Gespräche. Eine gute
emotionale Beziehung, gute Kommunikationsgewohnheiten, Gemeinschaftsgefühl
sowie die gemeinsame Anerkennung von Regeln und Gewaltvermeidung sind
notwendig, damit diese Verarbeitung auch sinngemäss durchgeführt werden kann.
Zeit mit dem Kind zu verbringen ist eine weitere Voraussetzung für eine gesunde
Verarbeitung (dies kann beispielsweise durch die gemeinsame Nutzung von
attraktiven Freizeitangeboten durchgeführt werden). (vgl. Martin 1999, S.
136/137)
Grundform 6: „Werte bilden – Moralisch handeln“
Eine stabile Ich-Identität hängt
untrennbar mit einer mindestens einigermassen funktionierenden Selbststeuerung
zusammen, die auf ein als verpflichtend empfundenes System von Werten und
Wertpräferenzen aufbaut. So spricht Martin hier die sechste Grundform der
Gewaltprävention, „Werte bilden – Moralisch handeln“ an. „Prosoziales Verhalten
hängt einerseits davon ab, welche Werte einen Menschen hauptsächlich bestimmen
– kulturelle, soziale, humane, ökonomische, ästhetische usw. – und welche
spezielle Ausrichtung sie haben. Zum anderen davon, wie motiviert, stark und
effektiv diese Werte auch in kritischen Situationen vertreten und befolgt
werden.“ (Martin 1999, S. 140) Gewalt erscheint Jugendlichen als etwas das
Spass macht, Macht verleiht oder Vorteile in einer Clique einbringen kann. Die
Gewaltprävention muss sich hier die Frage stellen, welche Werte für die
Jugendlichen zu Normen werden sollen um friedfertig miteinander und der Umwelt
umgehen zu können und wie diese zu fördern sind. Kohlberg hat – basierend auf
Piagets kognitiver Psychologie – die These entwickelt, dass sich moralisches
Handeln in sechs Stufen eingliedern lässt, die wiederum drei Hauptniveaus der
Entwicklung unterliegen:
„Niveau
I – Prämoralisch
Stufe 1: Orientierung an Strafe und Gehorsam
Stufe 2: Naiver instrumenteller Hedonismus
(Konformität um der Belohnung willen; „Wie du mir so ich dir“).
Niveau
II – Moral der konventionellen Rollenkonformität
Stufe 3: Moral des guten Kindes, das gute
Beziehungen aufrecht erhält und die Anerkennung der anderen sucht.
Stufe 4: Moral der Aufrechterhaltung von Autorität
(gemeint: „legitime Autorität“, Beachtung der gesellschaftlich definierten
Regeln des Zusammenlebens)
Niveau
III – Moral der selbst-akzeptierten moralischen Prinzipien
Stufe 5: Moral des Vertrages, der individuellen
Rechte und des demokratisch anerkannten Gesetzes/Rechtssystems.
Stufe 6: Moral der individuellen
Gewissensprinzipien“
(Kohlberg (1968), 1997 in: Martin 1999, S. 142)
Die prämoralischen Stufen von
Urteil und Verhalten genügen in der heutigen Zeit nicht mehr, vielmehr können
sie Gewalt unter Kindern und Jugendlichen geradezu hervorrufen, da sich deren
Einstellungen geändert haben („Wenn es keiner sieht, kann ich ruhig die Wände
beschmieren“ oder „Wie du mir so ich dir“). Auch die dritte Stufe, die
konventionelle Moral des guten Kindes, ist weitgehend auf persönliche
Bekanntschaften und bekannte Personen im Umfeld des Kindes begrenzt, die seinen
Bezugsrahmen bilden. Obwohl sie nicht überall gegeben sind, erscheinen gute
Beziehungen und Anerkennung bei ihren Eltern, Geschwistern oder Nachbarn, um
derentwillen sie sich freundlich verhalten sollen selbstverständlich. Unsere
Gesellschaft ist zunehmend dadurch gekennzeichnet, dass sich das Leben
zunehmend ausserhalb der Familien und „guten Beziehungen“ abspielt. Gewalt
ereignet sich dort, wo Kinder und Jugendliche mit Fremden zusammentreffen, wo
die Anonymität eine Rolle spielt und gute intime Gruppenbeziehungen ausser
Kraft gesetzt sind. Somit ist es erforderlich, dass Kinder und Jugendliche
höheren moralischen Ansprüchen bald gerecht werden und die Moral der vierten
Stufe erlernen müssen. Aus Einsicht sollten sie die notwendigen Regeln
geordneten Verhaltens befolgen. Jedoch ist auch dies nicht gegeben, da
Zusammenhalt in der Gruppe oft über Abwertung anderer Gruppen definiert wird.
Daher ist es erforderlich, dass Kinder und Jugendliche lernen, ihr moralisches
Verhalten und Handeln nach selbst-akzeptierten Prinzipien zu richten (s. oben,
Stufe 5 und 6). Erst wenn aus Überzeugung gehandelt wird, dass die Würde des
Menschen unantastbar ist (Grundgesetz, Art. 1) und sich deshalb Gewalt gegen
andere verbietet, kann von einer erfolgreichen Gewaltprävention gesprochen
werden. Hier wurzeln auch das Verständnis des religiösen Menschenbildes als
„Kind Gottes“ und die Bereitschaft, sich unter das Gebot der Nächstenliebe zu
stellen.
Um diese moralischen Werte
vermitteln zu können, ist praktisches Handeln unerlässlich. Moralische
Entwicklung ist in jeder Hinsicht ein sozialer Vorgang und mit dem Erlernen
einer Technik wie Lesen und Schreiben nicht zu vergleichen. Als Modell
moralischer Erziehung in der Schule soll hier kurz das Projekt der „Just
Community School“ erwähnt werden. Das Schulkonzept hat den kognitiven und
moralischen Entwicklungsfortschritt des einzelnen Schülers als Ziel. Zunächst
wurde die Schule in kleinere Teilschulen („Clusters“) untergliedert, um eine
leichter überschaubare Interaktionsgemeinschaft zu haben. Ein weiteres Ziel der
Schule bestand darin, dass Fairness und Gerechtigkeit erlebt werden sollten.
Dazu gehörte auch die Offenheit gegenüber Schülern aus allen möglichen
ethnischen und sozio-ökonomischen Hintergründen. Demokratie ist ein wichtiges
Prinzip der „Just Community School“ und Schüler und Lehrer haben
gleichberechtigte Stimmen in den verschiedenen gebildeten Gremien der Schule.
Ferner regt die Beteiligung an moralischen Überlegungen und
Entscheidungsprozessen zu reiferem Denken, Urteilen und Handeln an. Nur die
demokratische Gemeinschaft kann Gerechtigkeitsprobleme moralbildend lösen. Für
faire Konfliktlösungen sind also Lehrer und Schüler gleichermassen
verantwortlich. Fairness in den administrativen, kollegialen und in den
Bezugsgruppen-Strukturen ist unerlässlich. Dazu gehört auch die nötige
Autonomie der „Just Community School“, Vertrauen in die Fähigkeit der
Kooperative zu haben, die Teilung der Verantwortung durch Lehrer und Schüler
sowie die Bereitschaft aller, vor einem Disziplinarausschuss Rechenschaft
abzulegen. Ein anderer Bestandteil ist die Kleingruppenarbeit, um sinnvolle
Beziehungen mit dem Lehrer aufbauen zu können, Moraldiskussionen mit einer
intensiven Beteiligung zu ermöglichen und gemeinsam individuelle
Schwierigkeiten und Konflikte zu bearbeiten. Eine zentrale Aufgabe in der
Schule haben moralische Diskussionen die die moralischen Entwicklungsprozesse
antreiben. Die Moralstufen sind bekannt und werden mit den Schülern diskutiert.
Aktuelle Probleme ermöglichen das Verständnis der jeweiligen Moral und die
Suche nach der fairsten Lösung. Die Wirkungen dieses Projektes können sich
sehen lassen: Diebstahl oder
Drogenmissbrauch sowie rassische und ethnische Konflikte kommen kaum mehr vor.
(vgl. Martin 1999, S. 148-152)
Grundform 7: „Projekte durchführen – Lernen durch
tun“
In seiner siebten Grundform
„Projekte durchführen – Lernen durch tun“ zeigt Martin, dass es nicht einfach
ist, immer allen Kriterien einer erfolgreichen Gewaltprävention in der
Projektarbeit gerecht zu werden. Dennoch ist es wichtig, diese Kriterien
aufzuzeigen. Erfahrungen zeigen, dass es oft leichter ist, interessierte
Jugendliche zum Mitwirken an solchen Projekten zu bewegen, als gewaltbereite
Cliquen, die aber der Gewaltprävention mehr bedürfen. Lernvorgänge werden nicht
durch problemlösende und praktische Tätigkeiten ausgelöst. Dies ist pädagogisch
gesehen nichts Neues. Denken und Erfahrung hängen zusammen und Dewey stellt
zwei wichtige pädagogische Schlüsse vor, die dies darstellen: „Erziehung ist in
erster Linie eine Sache des Handelns und Erleidens (nämlich des Widerstandes
der Sache), nicht des Erkennens (also z.B. nicht des bloss abstrakten
Schlussfolgerns). Der Massstab für den Wert einer Erfahrung liegt in der
grösseren oder kleineren (praktisch erworbenen, unter Umständen erlittenen)
Einsicht in die Beziehungen und Zusammenhänge, zu der sie uns führt.“ (Dewey
1916 in: Martin 1999, S. 154) Charakteristisch für die Durchführung eines
erfolgreichen Projektes sind ausserdem die folgenden Schlüsse, eine Stufenfolge,
die Dewey aufzeigt:
„1. Gründliches Denken und Lernen ereignet sich im
gesellschaftlichen Interaktionsprozess. Es beginnt mit der Erfahrung einer
problemhaltigen Situation, dem „Einbruch des Unbekannten“, der zum Wagnis des
Erkundens, Forschens und Nachdenkens heraufordert. Die das Denken und Lernen
antreibenden „Befremdungen, Verwirrungen, Zweifel“ sind gleichzusetzen mit der
„Fragehaltung“, die gute Lehrer/innen zu Beginn von Lernprozessen bei ihren
Schüler/innen anzuregen suchen.
2. Aus solcher Fragehaltung entstehen im Prozess der
fortschreitenden Problembewältigung „probeweise Deutungen der gegebenen
Elemente“. Dabei werden mögliche Folgen verschiedener Entwicklung bedacht.
Diese führen weiter zu
3. der „sorgfältigen Erkundung (Erforschung,
Feststellung, Prüfung, Zergliederung) aller erreichbaren Umstände; sie dient
der bestimmten Erfassung und Klärung des vorliegenden Problems“. Es folgt
4. „eine versuchsweise Ausgestaltung der vorläufigen
Annahme“ (über die wesentlichen Komponenten und Bedingungen der problematischen
Situation) und
5. „die Entwicklung eines Planes für das eigene
Handeln auf der Grundlage der so durchgearbeiteten Annahme, Anwendung dieses
Planes auf die gegebene Sachlage, d.h. Handeln in der Absicht, gewisse
Ergebnisse zu erzielen und dadurch die Richtigkeit der Annahme nachzuprüfen“
(Dewey 1964 in: Martin 1999, S. 155)
Es ist offensichtlich, dass
soziales Lernen in der Gewaltprävention „Lernen von Handlungen“ darstellt. Das
Gleiche gilt auch für das Erlernen von Begriffen wie Toleranz, Achtung oder
Menschenwürde. Mit Begriffen werden Probleme gelöst und ihre Anwendung ist an
echte Lebenssituationen gebunden. Das Verständnis der Grundsätze von humanem
und friedfertigem Zusammenleben soll sich, zu Überzeugungen und leitenden Handlungsmustern
entwickeln. Hilfreich dabei sind oft Fixpunkte (z.B. organisatorische
Schaltstellen in der Projektarbeit) und Metainteraktionen (Auseinandersetzung
auf höherer Ebene; vertiefte Besinnung auf Ziele und Sinn des Projektes,
kritische Beurteilung des aktuellen Standes und Wege der Zielerreichung). Die
Projektmethode ist in der Gewaltprävention als komplexes System menschlichen
Lernens. „Die Lernenden sind [hier] Selbstverursacher ihres Lernens, weil sie
die Probleme, die ihnen die Umwelt stellt, lösen wollen, müssen und nur so
lösen können.“ (Martin 1999, S. 156) Gegenwärtige Projekte haben derzeit leider
eine mangelhafte Auswirkung auf ihre Zielgruppen. Es ist so, dass sich viele
Projektleiter/innen mit der Schaffung von Kontakten zwischen verschiedenen
jugendlichen Gruppen verschiedener Herkunft begnügen. Der Besuch eines
Ausländerviertels kann u.U. Vorurteile eher erhärten als abbauen. Gute
Projektarbeit muss sich in der Gewaltprävention von Aktionismus
unterscheiden.(vgl. Martin 1999, S. 157)
Grundform 8: „Gemeinschaft fördern – Gemeinsinn
entwickeln“
Im Gewaltverhalten von
Jugendlichen ist es fast immer so, dass Gruppen oder Gemeinschaften ihren
Einfluss darauf ausüben. So bezeichnet Martin seine achte Grundform der
Gewaltprävention als „Gemeinschaft fördern – Gemeinsinn entwickeln“.
Gewalttätige Jugendliche gehören meist Cliquen an, während nur ein kleiner Teil
keiner solchen Gruppe angehört. Starker Konformitätsdruck, eine hierarchische
Ordnung und einseitige, nicht-diskursive Kommunikationsformen haben einen
gewaltsteigernden Einfluss auf Jugendliche, die vor allem männlichen
Geschlechts sind. Vor allem physische Gewalt gehört in diesen Gruppen zu
normalen Interaktionserfahrungen.
Gemeinschaftserziehung als
präventive Massnahme ist dringend notwendig. Diese sollte nicht nur in der
Familie sondern auch in Institutionen mit pädagogischem Charakter
(Kindergärten, Schulen, Jugendgruppen) gefördert werden. „Dabei muss z.B. die
Schulklasse unter den multikulturellen Bedingungen unserer heutigen und
zukünftigen Gesellschaft als Ort erkannt werden, an dem ethnische, religiöse,
kulturelle, soziale, ökonomische u.a. Gegensätze aufeinanderstossen.“ (Martin
1999, S. 161) Ein gutes Beispiel für Gemeinschaftserziehung sind die
Jena-Plan-Schulen. Dort werden mehrere Altersjahrgänge, die sozial und
kulturell gemischt sind, Jungen und Mädchen und sowohl Behinderte als auch
Nichtbehinderte enthalten, in eine „Stammgruppe“ zusammengefasst. Dort leben,
arbeiten und lernen sie die meiste Zeit zusammen. Ziel ist es, dass sich die
Vorteile einer Gruppe entfalten sollen: einfache Menschlichkeit, gegenseitiges
Helfen und füreinander sorgen, richtige Sozialbildung und Aufgaben, Anregungen
und Pflichten werden hier zusammen gelernt. Aber auch das Einhalten von Ordnung
und Regeln in der Gemeinschaft kommt hinzu. Toleranz, Hilfe und das Gefühl
gegenseitiger Verantwortlichkeit werden geschult. Wie aber können Lehrer und
Sozialerzieher Gemeinschaftserziehung im Rahmen der „normalen“ öffentlichen
Erziehungs- und Bildungseinrichtungen anwenden?
Laut Martin haben Forschungen
über den Zusammenhang von Führungsstilen, sozialem Klima und aggressivem
Verhalten ergeben, dass Erzieher/innen und Lehrkräfte durch ihre Haltung
gegenüber den zu Erziehenden ein mehr oder minder förderliches Klima für
emotionale, soziale und geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen
schaffen. Doch hängt dies sehr von der Lehrkraft ab. Sie „können ein soziales
Klima der mitleidlosen Konkurrenz in Lerngruppen erzeugen, aber auch ein Klima
der gegenseitigen Hilfe und der Freude an Fortschritten jedes Einzelnen.
Gelegenheiten zur Demonstration [beider] Haltungen und Verhaltensweisen ergeben
sich fortlaufend in allen Erziehungs- und Lernsituationen. Kinder und
Jugendliche erfahren daher neben förderlichen Einstellungen und
Verhaltensweisen auch viel aggressives, autoritäres, verständnisloses,
verächtliches, „nicht reversibles“ Verhalten von Erwachsenen.“ (Martin, 1999,
S. 166) Um den dadurch entstehenden Spannungen vorzubeugen, schlägt Martin
einen gemeinschaftsfördernden Erziehungsstil vor. Die schulische Arbeit sollte
so gestaltet werden, dass geistige Fortschritte mit der Entwicklung von
Sozialkompetenz und sozialer Verantwortung Hand in Hand gehen. Motivationen zum
Lernen erfolgen viel leichter, wenn das soziale Klima und das pädagogische
Lehrer-Schüler Verhältnis von Achtung, dem Glauben an die
Entwicklungsmöglichkeiten der Schüler, Rücksichtnahme, sozialer Verantwortung,
Verständnis und Wärme geprägt ist. Weitere sozial förderliche Massnahmen sollten
ausserdem durch Achtung der Selbstbestimmung, Förderung der seelischen und
körperlichen Funktions- und Leistungsfähigkeit aller, Förderung der
Selbstachtung oder der Ermöglichung des offenen Auseinandersetzens mit dem
eigenen Erleben gekennzeichnet sein. Sozialintegrative Unterrichtsmethoden
sollten eingesetzt werden. Viel Kritik ist am weit verbreiteten
Frontalunterricht geübt worden. Jedoch können gute Lehrkräfte auch im dort
sozial-förderliche Haltungen und Verhaltensweisen vermitteln. Die Frage ist nur
wie wahrscheinlich es ist, dass dies vielen Lehrer/innen täglich gelingt. Die
Realität sieht so aus, dass viele Lehrkräfte damit Schwierigkeiten haben und
sich gewisse Züge von professioneller Deformation herausbilden wie
Besserwissen, Überlegenheitsgefühle, Urteilsfehler oder unnötiges Dirigieren.
Räumlich-organisatorische, sozial-kommunikative und moralisch-personale Aspekte
sind bei der fördernden Gestaltung sehr hilfreich. „...Lehrer/innen in allen
Unterrichtsformen [sollten in der Lage sein] eine Gruppenkultur des
gegenseitigen Zuhörens, der Rücksichtnahme sowie der Achtung vor der Person,
Meinung, Leistung, des anderen zu gewährleisten...“ (Martin 1999, S. 167). Ein
weiterer wichtiger Aspekt der die Gemeinschaftserziehung fördert, liegt im
Engagement der Lehr- und Erziehungskräfte. Oft hängt viel davon ab, wie weit
diese sich für die Schaffung eines sozialen Klimas in der Klassengemeinschaft
einsetzen. Förderlich hierfür sind das Engagement in der Beratung der
Schüler/innen. Ferner ist es bei der (möglichst guten) Zusammenarbeit mit der
Schülervertretung und den Eltern wichtig, eine Vermittlungsrolle bei
Schüler-Lehrer Konflikten einzunehmen, ausserschulische Aktivitäten
(Klassenfahrten usw.) durchzuführen und schliesslich eine gute Kenntnis für
häusliche und persönliche Verhältnisse der Schüler/innen zu entwickeln.(vgl.
Martin 1999, S. 168-170)
Grundform 9: „Konflikte bewältigen – Konfliktfähig
werden“
Aggressive Handlungen sind oft
Eskalationen eines Konfliktes. Somit gehören Strategien zur Konfliktbewältigung
in den verschiedenen Lebensbereichen Familie, Schule oder Freizeit mit zu den
grundlegenden Formen der Gewaltprävention. Dies meint Martin auch in seiner
neunten Grundform „Konflikte bewältigen – Konfliktfähig werden“. Der
Zusammenhang zwischen Konflikt und Aggression wird nicht immer verstanden und
die weit verbreiteten Konflikte die aufwendiger, professioneller Methoden
bedürfen, rufen nach einem Patentverfahren. Jedoch haben Konflikte viele
verschieden Ursachen und Abläufe. „Im Konflikt treffen je verschiedene
Wertüberzeugungen, Ziele und Ansprüche, Interessen, Kognitions- und
Kommunikationsgewohnheiten, Rollen, Triebwünsche usw. von Personen, den
Konfliktpartnern aufeinander.“ (Martin 1999, S. 172) Dabei stehen Schüler/innen
unter den Erwartungen anderer (Mitschüler, Freunden, Eltern, Lehrer, der
Schule) die als Bezugspersonen natürlich sehr unterschiedliche Interessen und
Motive haben und von diesen geleitet werden. Die jeweiligen Sanktionsmethoden
dieser Bezugspersonen sind demnach ebenso unterschiedlich. Hinzu kommt noch,
dass all diese Variablen sowie das Geschehen des Konfliktes selbst noch von
gesellschaftlichen (z.B. kulturellen, politischen, sozialen, ethnischen,
wirtschaftlichen, religiösen, usw.) Bedingungen beeinflusst wird. Beratung im
Konfliktfall muss diese Variablen erkennen und dabei im Sinne der
Konfliktbewältigung helfen können, diese zu verändern.
Konflikte gibt es in der Schule
reichhaltig und sie sind oft mit Ursachen für gewalttätiges Verhalten. Die
tägliche Arbeit der Lehrer kann oft Überlastung, Unzufriedenheit oder Ähnliches
erzeugen, was sich dann auf die Schüler auswirkt, die über Unverständnis,
Missachtung oder Beleidigung klagen mögen. Ein Konflikt ist entstanden.
Konflikte sind jedoch auch Teil des normalen menschlichen Zusammenlebens.
Präventives Handeln im pädagogischen Sinne stützt sich weitgehend auf diese
Tatsache. Konflikte sind ein Teil des Lebens, also sollten sie als solcher
akzeptiert werden. Auf dieser Grundlage kann ein Verständnis für die Schüler
aufgebaut werden, das aus der eigenen Offenheit und Akzeptanz eigener Fehler
und dem Zugeben von eigenen Spannungen oder Enttäuschungen resultiert. So
können viele Konfliktauslöser von vornherein auf natürliche Weise vermieden
werden und Vertrauen für eine zukünftige Beratung geschaffen werden. Ein
weiterer entscheidender Teil für die Prävention in Konfliktfragen ist das
bereits oben erwähnte „Aktive Zuhören“ (siehe Grundform 3: „Miteinander
reden...“) welches Lehrkräfte durch innere Anteilnahme und Ernstnehmen dazu
benutzen können, Spannungen auf die Spur zu kommen. Ein weiterer wichtiger
Punkt wäre, so Martin, auch in einer Konfliktsituation noch Achtung vor
Schüler/innen zu haben und Empathie zu entwickeln. Sie zu zeigen, wird Achtung
hervorrufen, schliesst aber einen Ausdruck der Enttäuschung nicht aus.
Konfrontationen sind nicht unbedingt Auslöser von Konflikten, sofern sie
verständnis- und respektvoll ausgetragen werden. Auch angemessene Strafen, die
natürlich sind, sind konstruktiv und oft überzeugender und hilfreicher als
Willkürmassnahmen. „Wiedergutmachungsregelungen“ sind oft ein Weg, Jugendliche
zu prosozialem Handeln zu motivieren (vgl. Martin 1999, S. 174)
Streitschlichtung unter
Schüler/innen ist ebenfalls ein erfolgreich angewandtes Konzept. Schüler/innen
können selbst die Verantwortung für die Beilegung von Streitigkeiten
untereinander übernehmen. Ihre Kommunikationsfähigkeien verbessern sich, ihr
Selbstwertgefühl steigt und in der Schülerschaft wächst die Fähigkeit mit
Konflikten umzugehen. Diese Methode sollte vor allem dann angewendet werden,
wenn es geringfügige Regelverstösse gibt. „Gewalt unter Jugendlichen hat
zumeist tiefere Gründe und verlangt mehr Anstrengungen; aber Gewaltneigungen
können auch aus geringfügigen Anlässen (wie eben Regelverstösse) erwachsen, und
sie gilt es frühzeitig zu beseitigen.“ (Martin 1999, S. 176) Des weiteren haben
sich Handlungsweisen der Verhaltensmodifikation bewährt. Mit diesem Verfahren,
welches auf Lerntheorien verweist (instrumentelles und operantes Konditionieren
und Modelllernen) können vor allem Konflikte bearbeitet werden, die durch
Stimuli, Bekräftigungen und Modelle erzeugt und erhalten werden (z.B. Stören,
mangelnde Aufmerksamkeit im Unterricht, Unpünktlichkeit oder
Aussenseiterkreierung). Zur Umsetzung dieser Verhaltensmodifikationen werden
hier von Redlich/Schley die drei erprobten Handlungsschritte Diagnose, Planung
und Intervention vorgeschlagen, die sich wiederum in der Praxis bewährt haben,
wenn sie in neun Teilschritte untergliedert waren. (vgl. Redlich/Schley 1981
in: Martin 1999, S. 178). Als erstes kommt die Erfassung aus der Sichtweise der
Lehrkraft, in der diese ihre Sichtweise des Problems konkret beschreibt und die
ungefähre Stärke angibt. Als zweites sollte die Sichtweise der Schüler/innen erfasst
werden. Hier sollten diese ausdrücken was sie stört. Unterschiedliche
Sichtweisen werden klar. Als drittes sollte eine gemeinsame Sicht, ein
Bedingungsmodell durch Vergleich erarbeitet werden. Der hierbei
zugrundeliegende Gedanke ist, Wahrnehmungsverzerrungen der einzelnen Seiten
durch das Einbeziehen aller wieder auszugleichen. Danach geht man über in den
Planungsprozess und findet als vierten Punkt ein gemeinsames Ziel. Gemeinsam
wird hier ein handlungsnahes Ziel bestimmt und in Teilziele zerlegt. Diesen
einzelnen Teilziele werden als fünftes konkrete Massnahmen und Methoden zur
Umsetzung zugeordnet. Wenn diese festgelegt sind, kommt sechstens eine Planung
von Zeit und Kontrolle. Hier werden Fortschritte oder Misserfolge festgestellt.
Der Zeitplan ist als Orientierungshilfe gedacht. Gemeinsam werden als siebtes
der besprochene Plan und die festgelegte Methode umgesetzt. Dabei sollte eine
Offenheit für Veränderungsvorschläge präsent sein. Auch wird hier geprüft, ob
die Umsetzung erfogreich war. War sie das, wird die Lage stabilisiert und die
einzelnen Interventionsmassnahmen im Problem schrittweise entfernt. Am Ende
kommt es dann zu einer Bewertung. Lob, Kritik und Verbesserungsvorschläge sind
hier angebracht. (vgl. Martin 1999, S. 180) Zur Bewältigung von Konflikten sind
verschiedene Methoden gefragt, die auf sehr unterschiedliche Konfliktmethoden
passen. Dies muss bei einer wirksamen Gewaltprävention berücksichtigt werden.
Grundform 10: „Mit Tätern umgehen – Gewalt
entmachten“
In den bisherigen Grundformen der
Gewaltprävention wurde noch nicht die Problematik der Täter von
Gewalthandlungen konkret angesprochen. Martin tut dies hier mit seiner zehnten
Grundform „Mit Tätern umgehen – Gewalt entmachten“. Bis jetzt wurden vor allem
Kinder und Jugendliche als Täter behandelt. Was aber kann getan werden, wenn
Lehrer- und Erzieher/innen als Täter fungieren? Historisch gesehen gehörte ja
bis weit in das 20. Jahrhundert hinein der Stock zur Grundausrüstung von
Lehrkräften. Heute ist dies anders, das Gewaltverhalten von Lehrern wird von
ihnen selbst stark kritisiert und verurteilt. Andere Lehrkräfte handeln jedoch
auch unbewusst aggressiv oder können aufgrund mangelnder Fachkompetenz nicht
anders handeln. Gewalthandlungen seitens der Lehrer werden unterschiedlich gesehen.
Schimpfen, schreien, brüllen, mahnen, mit Notendruck arbeiten, ins Klassenbuch
eintragen, Eltern vorladen, blamieren oder fertigmachen sind nur einige
Gewaltanwendungen. Ferner werden auch die Strukturbedingungen der Schule
(Machtverteilung, Auslesefunktionen) oder soziale Bevorteilung als Lehrergewalt
erlebt.
„Weil auch Lehrer/innen wie
andere Beschäftigte sich Verhaltensweisen angewöhnen, die sie nicht immer neu
bedenken können, sind Vorschläge zur Selbsterfahrung und –überprüfung
angebracht.“ (Martin 1999, S. 182) Einige dieser Vorschläge sind beispielsweise
Lehrergruppenbildungen zur Förderung des sozialen Milieus (vgl. Olweus 1996, S.
80) oder Austausch mit Schüler/innen über ihr Empfinden und ihre Erfahrungen
von Lehrergewalt. Neben diesem wirksamen Austausch der beiden Gruppen von
Lehrkräften und Schüler/innen ist es ebenso notwendig, konkrete Massnahmen und
Reaktionen zu benennen, wenn man mit gewaltbereiten oder aggressiven Personen
zu tun hat. Dazu gehören Immunisierung gegen Provokation (z.B. Durchatmen,
Selbstberuhigung oder Gelassenheit), in der Lage zu sein, die Situation zu
durchschauen (Konflikt oder Gewalt, ist es ein Bagatellfall (u.U. ignorieren),
mit Humor Situation entschärfen), Genaue Beobachtung des Täters, Eingreifen in
kritischen Situationen ohne physischen Einsatz (z.B. Ruhig bleiben, sachlich
sprechen, Aufmerksamkeit schenken, nicht attackieren) oder die Situation
kommunikativ entschärfen. Dies sind natürlich nur Vorschläge, denn „Kataloge
von Verhaltensregeln“ sind nur begrenzt hilfreich. Um Kindern und Jugendlichen
ausserdem den Umgang mit Gewalttätern näherzubringen, ist es ausserdem noch
nötig, bestimmte Merkmale von Schüler/innen zu erkennen, die häufig Opfer sind.
Meistens sind es zwei Arten von Opfern, passive und provokative. Passive Opfer
sind meist physisch schwächer, unsicherer, ängstlicher und haben wenig
Selbstvertrauen. Oft sind sie Einzelgänger. Provokative Opfer haben
Schwierigkeiten mit der Anpassung in die Gemeinschaft, sind oft hyperaktiv und
schnell erregbar. Oft werden bei Schüler/innen die in einer Opferrolle sind,
generelle Leistungsschwierigkeiten festgestellt und in irgendeiner Form aus dem
Rahmen fallen (sei es durch Herkunft, Hautfarbe, Sprache oder auch durch ihr
Verhalten den Mitschülern gegenüber). Jedoch gilt allgemein, dass jeder ein
Opfer werden kann. (vgl. Martin 1999, S. 186)
Grundform 11: „Kooperieren – Vernetzen“
In seiner elften Grundform
„Kooperieren – Vernetzen“ zeigt Martin, wie auch in den Grundformen 1 („Raum
geben...“), 8 („Gemeinschaft fördern...“), 9 („Konflikte bewältigen...“) und 10
(„Mit Tätern umgehen...“) dass Gewaltprävention sich nicht auf Täter, Opfer und
Gestörte konzentrieren sollte, sondern auch auf die Veränderungen in der
menschlichen und räumlichen Umgebung der Täter. Da die Grundlagen der sozialen
Entwicklung (Soziabilisierung, Enkulturation, Spracherwerb,
Kommunikationsfähigkeit, moralische Erziehung usw.) normalerweise im Elternhaus
vermittelt werden und die Eltern auch in der Schulzeit und der
Identitätsentwicklung die wichtigsten Erzieher sind, ist es in der
Gewaltprävention an Schulen notwendig, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Diese
gestaltet sich aber besonders dann als schwierig, wenn man mit Eltern
verhaltensgestörter Kinder zusammenarbeiten will. Da die Ursachen für
Verhaltensstörung und Aggression oft aus dem Elternhaus stammen, haben Eltern
oft Angst davor, sich Tatsachen zu stellen, obwohl Probleme mit dem Kind
vielleicht offensichtlich sind. Ein anderer Hinderungsgrund ist, dass ja
Gewaltneigungen auch durch Schulen verursacht werden und Eltern dadurch der
Schule gegenüber generell misstrauisch eingestellt sind. Auch haben Eltern oft
Schuldgefühle, was die Erziehung ihrer Kinder angeht. Die Zusammenarbeit mit
Eltern sollte also so vor sich gehen, dass sich Eltern als gleichberechtigte
Partner in Erziehungsfragen fühlen. Die verschiedenen Möglichkeiten der
Zusammenarbeit (Elternsprechtage, Sprechstunden, Schulfeste, gemeinsame
Wanderungen usw.) werden sowohl von Lehrkräften als auch von Schüler/innen
unterschiedlich genutzt. (vgl. Martin 1999, S. 188/189)
Im Einzelfall kann man, so
Martin, nur allgemeine Handlungsvorschläge machen. „Informationen, über
Ausmass, Hintergründe und Anzeichen von Gewaltbereitschaft usw. sowie Hinweise
auf die Notwendigkeit engagierter Zusammenarbeit von Eltern und Lehrer-/
Erzieher/innen u.ä. sind wichtig. Die Grundformen der Gewaltprävention sollten
bekannt gemacht werden. Es sollten Kontakte aufgenommen, Treffen vereinbart
werden, ggf. mit den Gewalttätern und den Opfern.“ (Martin 1999, S. 189) Bei
Eltern von passiven Opfern könnten Anregungen zur Ermutigung ggf. zum Sport und
zur Förderung von Freundschaften hilfreich sein. Bei hyperaktiven Opfern sind
dann spezielle Massnahmen der Beratung und ggf. eine psychiatrische Behandlung
angebracht. Ein weiterer wichtiger
Hinweis ist sicher noch, dass gute Zusammenarbeit mit den Eltern von Anfang an
angestrebt werden sollte, damit in Krisensituationen die Basis der guten
Zusammenarbeit bereits vorhanden ist.
Gewaltpräventive Kooperation und
Vernetzung kann und sollte auch inter-institutionell stattfinden. Schüler/innen
aus verschiedenen Schulen und Stadtteilen könnten zusammen an einem
gewaltpräventiven Projekt arbeiten und es gibt schon Beispiele dafür (wie z.B.
Plakataktionen für ein tolerantes Zusammenleben, genehmigte Übermalungen von
fremdenfeindlichen Parolen an der
Stadtmauer, Podiumsdiskussionen mit Schulleitern, Lehrern, Sozialarbeitern über
„Gewalt und Gewaltprävention in unserer Stadt“, usw.). Auch andere Bürger
können einbezogen werden (Tag der offenen Tür an der Schule, öffentliche
Projektwoche gegen Gewalt). So kann auch auf Initiative von Lehrern in
Zusammenarbeit mit anderen Institutionen (Polizei, Jugendorganisationen,
Beratungsdiensten, Parteien, Vereinen usw.) aktiv nicht nur etwas für die
Gewaltprävention in der Schule sondern auch im Umfeld der Schüler getan werden.
Jedoch ist die Zusammenarbeit mit der Polizei noch weithin ein Problem, denn
Probleme an der Schule werden zunächst mit pädagogischen Mitteln angegangen und
es wird der Polizei gegenüber geschwiegen. Dieses Schweigen kann unerträglich
werden, besonders wenn sich Gewalt ausbreitet. Dann ist eine Zusammenarbeit mit
polizeilichen Kräften erforderlich. Andererseits scheint die fehlende
Zusammenarbeit mit der Polizei auch oft dadurch gefördert zu werden, dass diese
nicht genügend für präventive Massnahmen in der Schule ausgestattet ist.
Ansätze sind dennoch in Form von Aufklärungs- und Beratungsaktionen da.
Umfassende Vernetzung der
verschiedenen Institutionen kann sich also als erfolgreich erweisen, wenn sie
denn richtig ausgenutzt wird. Dazu gehört, dass die Schule als „Lebenswelt“
eines Jugendlichen wahrgenommen werden muss und nicht nur als Lernraum und die
Ressourcen an den Schulen (Potential der Schüler, Pädagogen) dürfen dabei nicht
ungenutzt bleiben. (vgl. Martin 1999, S. 197)
Grundform 12: „Menschen und Schöpfung achten – in
Würde leben“
Die elf vorangegangenen
vorgestellten Grundformen der Gewaltprävention bringen allesamt Vorschläge und
Konzepte vor, wie man wirksam handeln kann. Die zwölfte und letzte Grundform
der Gewaltprävention von Martin lautet „Menschen und Schöpfung achten – in
Würde leben“ und basiert direkt auf dem Artikel 1 des Grundgesetzes der
Bundesrepublik Deutschland. „...sie steht in engem Zusammenhang mit
Grundsätzen, die sich zwar wissenschaftlicher Beweisführung entziehen, aber in
religiösen Schöpfungsberichten und in dem Gebot der Nächstenliebe ihren
bestimmenden Ausdruck finden.“ (Martin 1999, S. 198) Sie soll deshalb „ohne
weitere wortreiche Begründungen hier genannt werden. An ihr müssen sich
sämtliche beschriebenen oder auch noch zu findenden Methoden der
Gewaltprävention [...] ausrichten.“ (ebd.) Martin hebt also die zwölfte
Grundform als Grundlage für die elf anderen hervor, gleichzeitig kann sie aber
auch als Ziel aller anderen Formen gesehen werden. Diese letzte Grundform
sollte aus dem Hintergrund möglichst das Handeln der Lehrer und Eltern
bestimmen.
All diese vorgestellten
Grundformen sind ausserdem nicht einzeln zu sehen, sondern fliessen ineinander
über und bilden ein Gesamtgerüst für die Gewaltprävention. Jedoch können
natürlich weitere Grundformen gefunden werden. Ich habe sie deshalb
vorgestellt, weil es grundlegende Ansätze sind, die sowohl allgemein gehalten
sind als auch spezifisch auf Problematiken eingehen und konkrete Vorschläge
machen. Martin schliesst ausserdem Findungen weiterer Grundformen nicht aus.
Somit ist das Konstrukt der Gewaltprävention an Schulen beweglich und
veränderlich. Ein guter Ausblick, denn die Gewaltformen verändern sich mit der
Zeit und so kann sich Gewaltprävention anpassen.
Das gewaltpräventive,
soziale Projekt „People’s Theater“
Das
Projekt zur Gewaltprävention, das hier vorgestellt werden soll, sieht sein
Hauptziel darin, die moralische und soziale Erziehung an Schulen mit Hilfe der
„People’s Theater Methode“ zu unterstützen. Dazu wird eine Show regelmäßig und
langfristig in den Unterricht eingebunden. Die Gruppe „People’s
Theater“
geht mit diesem Konzept auf unterhaltsame und anschauliche Art und Weise an
schwierige soziale und ethische Probleme heran mit dem Ziel, konstruktive
Lösungsansätze anzuregen und gemeinsam mit dem Publikum zu entwickeln. Dabei
werden Elemente des Theaters und der Talkshow miteinander verbunden.
Bei
„People’s Theater“ handelt es sich um ein gewaltpräventives, soziales Projekt
in Offenbach/Main, welches unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters im
Oktober 2001 ins Leben gerufen wurde. Mit Hilfe vor allem des staatlichen
Schulamtes für Stadt und Kreis Offenbach, der kommunalen Präventionsstelle, der
Leitstelle Zusammenleben der Stadt Offenbach, der Kreisjugendförderung sowie
einiger Schulleiter und Lehrer/-innen wurde das „People’s Theater“ Konzept
entwickelt. Träger des Projekts ist der gemeinnützige
Verein Forum e.V. in Offenbach. Die
Zusammensetzung der Mitglieder von „People’s
Theater“ ist entscheidend für die Projektentwicklung. Die Gruppe besteht
aus sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten, wobei verschiedene Nationalitäten,
Alters- und Berufsgruppen unter den Mitgliedern vertreten sind. Jedes Mitglied
bringt seine individuellen Fähigkeiten in das Projekt ein. Diese Vielfalt trägt
stark zum Erfolg des Projekts bei, genau wie die aus innerer Überzeugung
herrührende Motivation der Mitglieder. Die pädagogischen Aspekte des Projekts
werden unter Mithilfe eines kompetenten pädagogischen Beirats beraten und
weiterentwickelt. Die Mitglieder des Beirats sind alle in sozialen oder
erzieherischen Berufen tätig (z.B. im Schulamt, im Jugend-Kulturbüro, im
Jugendbildungswerk, als Schulleiter, als Diplom-Pädagogen, usw.)
Das Projekt begann mit drei
längerfristigen Projekten und zahlreichen Einzelauftritten an
verschiedenen Schulen im Rhein-Main Gebiet. Die Mitglieder von „People’s Theater“ besuchten die Schulen teilweise wöchentlich in ihrer Freizeit
gegen eine geringe Aufwandsentschädigung seitens der Schulen. Dabei lag die
Konzentration auf Schülern der Jahrgangsstufen 3 bis 6 mit Gewaltprävention als
Hauptthema des Programms. Die Themen und Inhalte der Shows wurden nach den
Bedürfnissen der Schüler entwickelt und im Unterricht weiter vertieft. Das Ziel
war eine langfristige Wirkung und Nachhaltigkeit
der Show. (vgl. Interview mit Herrn D., 27.5. 2003)
Die Begeisterung der Kinder sowie
der große Anklang, den das Projekt seitens der Schulen fand, ermutigte das
Team, „People’s Theater“ zu einem Vollzeitprojekt
auszubauen. Dies konnte mit Hilfe des Staatlichen Schulamts, der Leitstelle
Zusammenleben in Offenbach sowie
der kommunalen Präventionsstelle der Stadt Offenbach verwirklicht werden. Seit
September 2002 arbeiten sechs engagierte Jugendliche ehrenamtlich im Rahmen
eines freiwilligen Jahres im Projekt.
Die positive Resonanz der seither
involvierten Schulen hat zu einer regen Beteiligung und starken Nachfrage der
Schulen geführt. „People’s Theater“ arbeitet gegenwärtig mit etwa 30
Schulen in Stadt und Kreis Offenbach zusammen, denen pro Klasse Pakete von 5
bis 10 Shows angeboten werden.
Ziel und Konzept der Show von „People’s Theater“
Ziel der Show ist es, dass die Kinder
und Jugendlichen in den Schulen ihr eigenes, kreatives Potential entdecken,
Konflikte auf konstruktive Weise zu lösen und ihre soziale Kompetenz
entwickeln. Es gilt, das Gewaltpotential an Schulen zu verringern, um Lehrern
und Schülern den Weg hin zu einer „fruchtbaren“ Lernumgebung zu ebnen. Konkrete
Gewaltvorfälle sollen mit Schülern und Lehrern in einem Diskussionsrahmen
problematisiert werden. Auch Themen wie Drogen, Rassismus, Beruf und Karriere,
Familienkonflikte usw. sollen für diese Ziele behandelt werden.
Zentraler Kern des Projekts ist
diese interaktive Show, deren besonderes Anliegen es ist, eine
lösungsorientierte Gesprächskultur zu fördern, die von Offenheit und Toleranz
gegenüber anderen Ansichten geprägt ist. Durch die Entwicklung eines
ausgeprägten Problembewusstseins, dem Erlernen der Fähigkeit, die Perspektive
zu wechseln, und sich auch in andere hineinversetzen zu können, und dies vor
allem durch Taten im wirklichen Leben zum Ausdruck zu bringen, wird eine neue
Art der Auseinandersetzung mit Problemen und des Umgangs miteinander
vermittelt. Dies ist jedoch nur durch langfristig angelegte Planung und
Weiterführung und Weiterentwicklung der Show möglich. Ermutigung und wirkliches
Vertrauen bilden die wesentliche Grundlage und Inspiration für das Konzept.
Im Mittelpunkt der bereits oben erwähnten Show steht ein „Mini-Drama“, in dem ein Konflikt
zwischen den Charakteren zum Vorschein kommt. Sobald die Situation eskaliert,
wird das Stück mit einem "Gong!" abgebrochen. Der Moderator leitet
mit Fragen eine Diskussion im
Publikum über die eben erlebte Szene ein, bis die Ursachen des Konflikts klar
erkannt sind. Dann wird erarbeitet, wie die einzelnen Charaktere ihr Verhalten
verändern können, damit die Eskalation des Konflikts – etwa in Form eines
Gewaltausbruchs – vermieden wird. Somit kommt der wichtigste „Input“ aus dem
Publikum. Besonders konstruktive Beiträge werden mit einer feierlich
überreichten Orange belohnt. Im anschließenden Forumtheater können die
verschiedenen Lösungsvorschläge von den Zuschauern selbst gespielt werden. Sie
erleben dabei bereits den Kontrast zwischen theoretischem Wissen und
praktischer Anwendung. Dies wird reflektiert sowie Eigenschaften und
Fähigkeiten besprochen, die notwendig sind, um den Konflikt lösen zu können und
in Zukunft nicht mehr in solche Situationen zu geraten. Schließlich spielt auch
die Gruppe ihre Lösung vor und die Show endet mit einer erneuten kurzen
Animation des Publikums. (vgl. People’s Theater 2003, S. 2)
Die Show ist
grundsätzlich für jede Altersstufe geeignet, sie kann auf die Erfordernisse
jedes Publikums bzw. jeder Zielgruppe individuell zugeschnitten und mit
verschiedenen Medien umgesetzt werden (Bühne, Fernsehen, Zeitungen, Radio
etc.). Ein weiterer Vorteil der Show ist, dass die„Mindestanforderungen“ sehr
niedrig sind. Man kann eine Show mit relativ wenig verfügbarem Platz und ohne
technische Hilfsmittel verwirklichen.
Mindestens eine
Person in einem Show-Team muss eine Moderatorenausbildung absolviert haben,
damit der qualitative Standard,
den das Showkonzept verspricht, erhalten bleibt. In der Ausbildung werden
Schauspielkunst, Regie, Moderation und das Schreiben von Skripten behandelt. So
können auch Laien, die keine Theater- oder Schauspielausbildung genossen haben,
eine Show realisieren. Weitere Elemente der Ausbildung sind Improvisationstheater,
Wichtigkeit von Mimik und Ausstrahlung, Bedeutung von Hoch- und Tiefstatus,
Regieführung und die Entwicklung eines Ensemblegefühls.(ebd.)
Die Show basiert auf zwei Säulen:
der Beratung (diskursorientiertes Gespräch) und der Ermutigung. Unter
„Beratung“ versteht das Konzept eine Gesprächshaltung und –führung, die von
Meinungsfreiheit und der gemeinsamen Suche nach dem besten Ergebnis
gekennzeichnet ist. Dafür ist es wesentlich, sich von der eigenen Meinung lösen
zu können und sie in den Dienst eines größeren Ganzen zu stellen sowie den
anderen aufmerksam und unvoreingenommen zuzuhören. Die Beratung liegt dem
ganzen Konzept zugrunde, wobei die Themen einerseits ein Mittel zum Zweck
darstellen, andererseits die Beratung natürlich nicht von den Themen zu trennen
ist. „Ermutigung“ stellt die zweite Säule des Konzeptes dar und äussert sich in
der Einstellung, Haltung, Benehmen, Auftreten, kurz in der gesamten Erscheinung
der Gruppe. Letzteres muss durch Vertrauen geschehen, welches eine ständige
Haltung der Ermutigung durch jeden Einzelnen in der Gruppe erfordert. Wozu soll
ermutigt werden? Ermutigung dazu, die Meinung zu äussern, mit dem Vertrauen,
dass man in seinen Problemen ernst genommen wird. Ermutigung zum Spielen und
sich ausprobieren, mit der Gewissheit, dass Einsatz in jedem Fall gewürdigt
wird. Ermutigung, sich selbst in anderen Rollen zu erfahren (wenn auch nur
kurzzeitig) und in diesen Rollen Erfolge zu erleben und schließlich auch, sich
und alles zu hinterfragen ohne Angst zu haben, den Boden unter den Füßen zu
verlieren. Das Ergebnis ist Vertrauen. Der Aufbau von Vertrauen ist für das
Erreichen der Ziele der Show unverzichtbar. Erst nachdem sich Vertrauen
zwischen der Gruppe und den Schülern aufgebaut hat, kann der Widerspruch, der
zwischen den Vorschlägen der Schüler und ihrem eigenen Verhalten besteht,
angesprochen werden. Durch die Ermutigung sollen also „Aha-Erlebnisse“
gefördert werden.
Das Konzept der Show kommt
ursprünglich aus Russland. Der Journalist Shamil Fattakhov hat im dortigen
Fernsehen diese Show entwickelt, da er das russische Fernsehprogramm als zu
einseitig empfand. Die grosse positive Resonanz auf seine Fernsehshow ermutigte
ihn dazu, das Projekt auch im Ausland vorzustellen. Er kam nach Deutschland und
führte verschiedene Moderatorentrainings durch, von denen nicht zuletzt auch
„People’s Theater“ ins Leben gerufen wurde. Mit seinem Programm „ZIPoPo“
ist Shamil Fattakhov weiterhin in
Russland tätig und erfährt ähnliche Resonanzen wie „People’s Theater“ in
Deutschland.
Das oben genannte Forumtheater,
sowie auch das Psychodrama sind Elemente, an die die Show angelehnt ist. Im
Folgenden sollen diese Begriffe kurz erklärt werden. Das Forumtheater an sich
ähnelt einem Wettkampf, einem Spiel „und läuft daher nach bestimmten
Spielregeln ab. Diese Regeln sind variabel, doch unabdingbar, damit sowohl ein
gemeinsames Ziel als auch eine gemeinsame Verfahrensweise die Arbeit bestimmt.“
(Boal 1989, S. 82/83) Beim Forumtheater muss der Text jede Person
charakterisieren, damit der Zuschauer sie deutlich erkennen kann. Der
Protagonist im Forumtheater muss vor allem bei der Lösung einer
Konfliktsituation so operieren, dass die Zuschauer sich veranlasst fühlen,
helfend einzuspringen. Danach werden dann die Lösungsversuche des Protagonisten
(Vorgehen und Verhalten) im „Forum“ thematisiert. Die Situation sollte nicht zu
abstrakt sein, denn es sollen konkrete Probleme entfaltet werden. Das
Forumtheater ist also „eine kreative Spielform, die Schauspieler und Zuschauer
gleichermassen einbezieht.“ (Boal 1989, S. 83)
Das Psychodrama hingegen ist eine
therapeutische Methode die von Moreno entwickelt wurde. Der Grundgedanke dieser
gruppentherapeutischen Methode ist, dass Klienten über ihre Probleme nicht nur
sprechen, sondern sie auf der „psychodramatischen Bühne“ spielen. Dies hat oft
eine stärkere Wirkung als die verbalen Methoden der Psychotherapie. „Die
psychodramatische Methode verwendet hauptsächlich fünf Instrumente – die Bühne,
die Hauptperson oder den Darsteller (auch Protagonist), den Leiter, den Stab an
therapeutischen Helfern (oder Hilfs-Ichs) und die Zuhörer.“ (Moreno 1989, S.
45) Die Bühne stellt einen lebendigen Raum zur Verfügung, der mehrdimensional
und im höchsten Mass flexibel ist. Der Vorteil ist, dass die Klienten eine
gewisse Freiheit verspüren, ihre Probleme auszuleben und mit Hilfe des Leiters,
den Hilfs-Ichs und den Zuhörern zu bewältigen, stressfrei. „Die Gruppe ist
nicht nur Publikum wie in einer [normalen] Theateraufführung. Viele Mitglieder
werden an irgendeinem Punkt der Sitzung aktiv als Hilfs-Ich mitwirken; doch
auch von denen die während der ganzen Sitzung nur dabei sind, ohne zu sprechen,
werden Einfühlung in das dargestellte Problem und Identifikation mit dem Protagonisten
erwartet.“ (Yablonsky 1978, S. 91/92)
Elemente aus beiden Methoden, dem
Forumtheater und dem Psychodrama sind bei der Show von People’s Theater
unschwer erkennbar, obwohl beide aus sehr verschiedenartigen Bereichen kommen.
Aus dem Forumtheater kommt die genaue Darstellung des Hauptdarstellers, damit
das Publikum sich veranlasst fühlt, helfend einzuspringen, sowie das
anschliessende Forum, in dem die Zuschauer selbst die Handlung übernehmen,
verändern und nach Lösungsmöglichkeiten aus dem Konflikt suchen können. Das
Psychodrama schliesslich stellt die Instrumente des Leiters (bei People’s
Theater Moderator) sowie die Hilfs-Ichs zur Verfügung. Die Hilfs-Ichs sind sehr
wichtig obwohl sie nur Nebendarsteller sind, denn sie sind immer irgendwie in
den dargestellten Konflikt verwickelt. Im Gegensatz zum Psychodrama jedoch geht
es bei Peoples’s Theater nicht um die Lösung emotionaler Probleme eines
Einzelnen, sondern eher um die Darstellung eines generellen gesellschaftlichen
oder gruppenorientierten Konflikt, bei dem alle Schauspieler mit einbezogen
sind. So werden die Hilfs-Ichs des Psychodramas zu weiteren Protagonisten
entwickelt und in der anschliessenden Nachbesprechung wird versucht, die
Situation im Mini-Drama ebenso aus deren Blickwinkel zu betrachten und nicht
nur aus der des Protagonisten. Dies sind die wichtigsten Elemente aus beiden
Methoden. Es gibt auch noch weitere detaillierte Einflüsse. Auf diese aber
näher einzugehen, würde eine genauere Analyse des Forumtheaters und des
Psychodramas sowie auch anderer Methoden erfordern. Da die Begriffe jedoch nur
kurz erklärt werden sollten, ist dies hier, im Rahmen dieser Arbeit, nicht
weiter nötig.
Resonanz und Erfahrungen an den Schulen über und von
„People’s Theater
Erfahrungsgemäß arbeitet People’s
Theater besonders
erfolgreich an Schulen, an denen Gewaltprävention groß geschrieben wird und
bereits vielfältige Bemühungen im Bereich der Förderung der sozialen Kompetenz
stattgefunden haben. Die Shows bieten hier einen weiteren Impuls zur
Thematisierung und Bearbeitung von Konfliktpotential. Die Arbeit an
Grundschulen ist im Rahmen der Gewaltprävention ein Hauptanliegen von „People’s
Theater“.
Mit Showelementen wie Musik, Tanz und Animation gelingt es schnell, die Kinder
für sich zu gewinnen und für die Shows zu begeistern. Zu den dargestellten
Konflikten finden die Kinder einen raschen Bezug. Mit einem ausgeprägten
Unrechtsbewusstsein bieten sie viele realistische und phantasievolle
Handlungsalternativen an. (vgl. Interview mit Herrn D. 27. 5. 2003)
Die Lösungen, die von den Kindern
in der Grundschule gesucht werden, beziehen sich direkt auf das Theaterstück.
Im Gegensatz zu älteren Klassenstufen wird hier zum Beispiel nicht gefragt:
„Warum gibt es soviel Gewalttätigkeit in der Gesellschaft?“ oder „Was sind die
psychologischen Hintergründe?“. Der Moderator leitet das Gespräch stattdessen
mit Fragen wie: „Was hätte Yasmin anders machen können, damit es nicht zur
Schlägerei kommt?“ Die Schwierigkeit bei Kindern der Grundschulklassen besteht
darin, dass sie bei einer Show die Antworten und Lösungswege kennen, es ihnen
jedoch schwer fällt, sie im realen Leben umzusetzen. Die Shows sollen
Gelegenheit bieten, im „Spiel“ eine bessere Verhaltensweise zu üben. Da die
Kinder wissen, dass es nur ein Spiel ist und sie die Unterstützung der Gruppe
fühlen (im Gegensatz zum realen Leben), fällt es ihnen leichter, einen Konflikt
durch neues und bewusstes Verhalten zu lösen. Oft kommt es auch vor, dass ein
Schüler eine bestimmte Verhaltensweise vorschlägt, welche den Konflikt lösen
würde. Wird derselbe Schüler aber aufgefordert, seinen eigenen Vorschlag zu
spielen, fällt es ihm sehr schwer und er neigt dazu, genau das zu tun, was er
im realen Leben machen würde, wie zum Beispiel gewalttätig werden oder
beleidigen. Es war eine besonders positive Überraschung, als eine Lehrerin
berichtete, dass ihre Klasse tatsächlich das bei der People’s
Theater Show
Erlernte in der Realität auch umsetzte. (vgl. People’s Theater 2003, S. 8)
Das „People’s
Theater“
Team konnte bezüglich seiner Arbeit bisher keine großen Unterschiede zwischen
Haupt-, Real-, Gesamtschulen und Gymnasien feststellen. Die Schulen unterscheiden
sich zwar in ihren akademischen Standards, geht es jedoch um soziale Kompetenz,
lässt sich nach diesen Kategorien kaum differenzieren. Verglichen mit den
Grundschulen, wird die Theaterszene in den Oberstufen abstrakter und
weiträumiger besprochen. Die gespielte Szene steht weniger im Mittelpunkt der
Show als das Gespräch und eine lösungsorientierte Beratung. Große Wichtigkeit liegt
dabei in der Einhaltung der Gesprächsregeln, die z.B. „Respektvolles Zuhören“,
„Nicht auslachen“ und „Die Meinung des anderen akzeptieren“ heißen. Der
Konflikt soll von allen Seiten beleuchtet werden und durch das Loslassen von
der eigenen Meinung und der Offenheit gegenüber anderen Ansichten beraten
werden. „People’s Theater“ stellt sich hierbei als
Moderator zur Verfügung. Im Theaterstück werden die Ergebnisse des Gesprächs
zusammen mit den Schülern visualisiert. Im Verlauf der Arbeit mit einer Klasse
bespricht das Team die Eingangsszene teils auch in Kleingruppen, erarbeitet
hier Ursachen, Hintergründe und Handlungsalternativen. In der Gruppe wird mit
den Schülern dann auch eine Theaterszene zu dem Problem erarbeitet, die
anschließend der Klasse vorgeführt wird.
Generell ist die Resonanz von
„People’s Theater“ auch bei den Lehrkräften sehr positiv. Dies liegt nicht
zuletzt auch daran, dass die Zusammenarbeit mit den Lehrern sehr wichtig ist.
Hier wird die Hauptproblematik der jeweiligen Klasse besprochen und
dementsprechend werden die Theaterszenen angepasst bzw. neu geschrieben. Um mit
einer Klasse effektiv zu arbeiten, ist „People’s Theater“ auf die Mitarbeit des
Lehrkörpers angewiesen. Die Nacharbeit im Unterricht hat große Bedeutung. Dabei
können die Schüler auch kreativ gefragt sein – so haben Lehrer z.B. Bilder von
der Szene malen lassen. Eine Grundschullehrerin hat auch Fragebögen ausfüllen
lassen: „Was hat dir am besten gefallen?“, „Was war das Problem?“
Auch sehen Lehrer die
Mini-Theaterstücke von „People’s Theater“ als viel effektiver an, so die
Meinung einer Gymnasiallehrerin einer achten Klasse: „Die Schüler haben das
ständige Gerede und Belehrungen über ihr Verhalten satt. Das Mini-Drama bildet
eine gute Arbeitsgrundlage denn die Schüler haben angefangen, bei Lösungen für
ihre Probleme mitzudenken und mitzuwirken. Auch ist es für die Jugendlichen von
People’s Theater leichter, die Schüler zu erreichen, weil vielleicht der
Altersunterschied nicht so gross ist.“ (Interview mit Frau S., 27. 5.
2003) In der Grundschule sieht man es
ähnlich. Dort ist man der Ansicht, dass die Shows von „People’s Theater“ die
Kreativität der Kinder stimuliert und sie dazu anregt, über ihr Verhalten
nachzudenken. Die Umsetzung gestaltet sich doch als schwierig, wenn die Shows
nur einzeln stattfinden. Eine langfristige Einbindung der Shows in den
Unterricht kann nach Meinung der Lehrer jedoch etwas bewirken, weil sich dann
Vertrauen zwischen den Schülern und der Gruppe aufgebaut hat. (vgl. Schreiner
2003)
Auch auf die Frage nach der
gewaltpräventiven Wirkung des Projektes kam ein guter Eindruck zurück: „Man
kann ein bestimmtes Verhalten unter den Schülern trainieren, ohne sie zu
dressieren. Durch die gespielten Situationen und Lösungsansätze wird ein
Standardrepertoire an Verhalten offengelegt, auf das die Schüler in der
Realität zurückgreifen können. Ich glaube es ist wichtig für die Schüler,
besonders solche die zu Aggressionen neigen, dass sie einmal einen anderen
Blickwinkel erleben. Im Spielen der dargestellten Lösung von Seiten der Schüler
war dies für sie recht schnell möglich.“ (Interview mit Frau S., 27. 5.
2003)
Generell wurde an den besuchten
Schulen der Eindruck geäussert, dass sich bereits nach einigen Wochen, in denen
People’s Theater Auftritte hatte, Veränderungen im Verhalten der Schüler
zeigten: „Schüler haben Vertrauen gewonnen, kommen und sagen auch Dinge, die
ihnen unangenehm sind, auch über sich, selbst, so dass sich Konflikte nicht so
hochkochen. Das füreinander Eintreten hat sich deutlich verbessert, auch enorme
Disziplinschwierigkeiten sind besser geworden, sie haben Ängste verloren (alles
im Verlauf des Schuljahres) und Mut gewonnen, sich in Situationen zu begeben wo
sie nicht nur glänzen. Der Umgang miteinander ist besser geworden.“ (Interview
mit Frau S., 27. 5. 2003)
„People’s Theater“ ist ein
Projekt, das eine innovative Methode der Gewaltprävention verwendet, um das
Verhalten der Schüler/innen dahingehend zu beeinflussen, mit sich selbst und
auch mit ihren Mitmenschen einen besseren Umgang zu haben. So ändert sich auch
die Grundeinstellung der Schüler/innen zueinander. Theater und Spiel kann oft
mehr bewirken, als das viele Reden, wovon die Schüler/innen im normalen
Unterricht schon genug bekommen und welches meistens einen sehr theoretischen
Unterton hat. Das Spielen der Situationen jedoch zeigt, wie sich die Schüler in
konkreten Konfliktsituationen verhalten können und zwar nicht nur auf Aktion
und Reaktion blickend, sondern auch auf die generelle Grundeinstellung, welche
das Agieren und Reagieren hervorrufen sollte.
Auch hat „People’s Theater“ sein
Konzept aufgrund der Reaktionen der Schüler und Lehrkräfte erweitert. Eine
solche Erweiterung des Konzeptes besteht in der Kleingruppenarbeit. Die Klasse
wird nach der Vorführung in Gruppen, bestehend aus 5 - 8 Schülern, geteilt.
Jede Kleingruppe wird von einem Mitglied von „People’s Theater“ betreut. Hier
haben die Schüler die Gelegenheit, sich im kleinen Kreis mehr zu öffnen, sich
mehr auszutauschen und intensiver Theater zu spielen. Das Team von „People’s
Theater“ findet durch diese Methode einen sehr viel persönlicheren Kontakt zu
den einzelnen Schülern als in der Großgruppe. Auf Wunsch vieler Lehrer ist die
Kleingruppenarbeit inzwischen fester Bestandteil des Programms geworden. (vgl.
People’s Theater 2003, S. 9)
Zusammenfassung und
Ausblick
„People’s Theater“ ist ein sehr
erfolgversprechendes Projekt, welches eine langfristige Gewaltprävention an den
Schulen in Offenbach in Aussicht stellt. Der Grund hierfür ist auch in der
vorliegenden Arbeit sichtbar. Die zwölf Grundformen der Gewaltprävention von
Martin werden mehr oder weniger in die Arbeit von „People’s Theater“
eingegliedert oder zumindest angeregt. Vor allem ist dies sichtbar bei der
Vermittlung moralischer Werte und die vielfältige Art und Weise auf die dies
geschieht.
Gewalt an Schulen und
Gewaltprävention sind nach wie vor ein heikles und in der Öffentlichkeit heiss
diskutiertes Thema. Ein Grund für den Erfolg des Projektes, denn speziell im
Grossraum Frankfurt mit seinem riesigen Einzugsgebiet, wozu auch Offenbach
gehört, ist die berechtigte Angst vor gewalttätigen Übergriffen ein
alltägliches Thema. „People’s Theater“ haben sozusagen den Nerv der Bevölkerung
getroffen, was sich unschwer aus der vielfältigen Unterstützung des Projektes,
nicht nur von Seiten der Schulen und öffentlichen Ämtern und Anlaufstellen für
Jugendliche erkennen lässt, sondern auch von der Bevölkerung. Die
Verhaltensweisen der Kinder ändern sich, was sich natürlich auch auf das Leben
zuhause auswirkt. Jedoch möchte ich hier den Erfolg nicht überbewerten.
„People’s Theater“ stehen erst am Anfang präventiver Massnahmen und von
richtigem Erfolg kann man noch nicht richtig sprechen und doch hat das Projekt
in Offenbach einen Stein ins Rollen gebracht. Der Terminkalender für Auftritte
ist überfüllt und 5-7 Auftritte täglich und an verschiedenen Schulen sind jetzt
keine Seltenheit mehr.
Als ich vor etwa einem Monat das
Projekt besuchte, konnte ich die Besonderheit und den Unterschied zu anderen
Projekten erkennen. „People’s Theater“ ist anders als die meisten sozialen,
gewaltpräventiven Projekte. Dies rührt zum grössten Teil daher dass es erstens
Jugendliche sind, die die hauptsächliche Arbeit im Projekt vorantreiben, was
eine gewisse Dynamik und Energie beinahe garantiert und zweitens weil diese
Jugendlichen im Projekt aus eigener Motivation mitarbeiten, mit der
Überzeugung, dass ihr Projekt ein wirksames Mittel zur Veränderung im Verhalten
der Schüler, aber indirekt auch der Lehrer darstellt. Ferner ist das Projekt
noch so besonders, weil es Theaterelemente verwendet, die beliebig zuschneidbar
sind. Das gibt der ganzen Show von „People’s Theater“ auch eine Aussicht auf
Weiterentwicklung und stellt nicht die Wiederholung alter Konzepte dar.
„People’s Theater“ hat mir
gezeigt, dass auch die Gefühle und Motivationen sind, mit denen man hinter
seiner Arbeit steht, die den Unterschied ausmachen zwischen erfolgreich und
nicht erfolgreich. Meine Hoffnung ist es, dass ich dem Leser mit der
vorliegenden Arbeit dieses Projekt ein Stück nähergebracht habe und ihm
vermitteln konnte, dass Gewaltprävention an Schulen nicht nur aus Theorie oder
nur aus Praxis besteht. Beides muss Hand in Hand gehen und eine gehörige
Portion Mut, Engagement und Motivation gehört auch dazu.
Literatur:
BOAL,
Augusto: Theater der Unterdrückten. Übungen und Spiele für Schauspieler und
Nicht-Schauspieler. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1989, 2. Auflage
BRÜNDEL,
Heidrun: Produziert die Schule Gewalt? In: Hurrelmann, Klaus/Palentien,
Christian/Wilken, Walter (Hrsg.): Anti-Gewalt-Report. Handeln gegen
Aggressionen in Familie, Schule und Freizeit. Weinheim und Basel: Beltz Verlag,
1995
MARTIN,
Lothar R.: Gewalt in Schule und Erziehung. Grundformen der Prävention und
Intervention. Bad Heilbrunn/Obb.: Verlag Julius Klinkhardt, 1999
MORENO,
Jacob L.: Psychodrama und Soziodrama. In: Fox, Jonathan (Hrsg.): Psychodrama
und Soziometrie. Essentielle Schriften. Köln: Edition Humanistische Psychologie
im Internationalen Institut zur Förderung der Humanistischen Psychologie, 1989
OLWEUS,
Dan: Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten – und tun
können. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle: Verlag Hans Huber, 1996, 2. Auflage
SCHUBARTH,
Wilfried: Gewaltprävention in Schule und Jugendhilfe: Theoretische Grundlagen,
Empirische Ergebnisse, Praxismodelle. Neuwied, Kriftel: Hermann Luchterhand
Verlag GmbH, 2000
VARBELOW,
Dirk: Jugenddelinquenz. Studie zum Gewaltverhalten von Kindern und
Jugendlichen. Marburg: Tectum Verlag 2000
VOLLBRECHT,
Ralf: Einführung in die Medienpädagogik. Weinheim und Basel: Beltz Verlag, 2001
WÜRTZ,
Stefanie/Hamm, Sabine/Willems, Helmut/Eckert, Roland: Gewalt und
Fremdenfeindlichkeit in der Erfahrung von Schülern und Lehrern. In: Schubarth,
Wilfried/Kolbe, Fritz-Ulrich/Willems, Helmut (Hrsg.): Gewalt an Schulen.
Ausmass, Bedingungen und Prävention. Quantitative und qualitative
Untersuchungen in den alten und neuen Ländern. Opladen: Leske + Budrich, 1996
YABLONSKY,
Lewis: Psychodrama: die Lösung emotionaler Probleme durch das Rollenspiel.
Stuttgart: Klett-Cotta Verlag, 1978
Weitere
Hilfsmittel:
INTERVIEW
mit Herrn D., Sprecher von People’s Theater. 27. Mai 2003, Offenbach/Main
INTERVIEW
mit Frau S., Gymnasiallehrerin einer achten Klasse der Adolf-Reichwein-Schule
in Heusenstamm. 27. Mai 2003, Heusenstamm
PEOPLE’S
THEATER: Dokumentation des Projektes People’s Theater. Stand: 1. Mai 2003.
Offenbach/Main, Unveröffentlichte Dokumentation, 2003
SCHREINER,
Dominik: Unveröffentlichte Notizen während der Auftritte von People’s Theater
und den Nachbesprechungen mit den Lehrkräften am 26., 27. und 28. Mai 2003 in
Schulen der Stadt Offenbach sowie Schulen in Heusenstamm und Gravenbruch.
Offenbach/Main, 2003
Anhang:
System der Grundformen der Gewaltprävention
Menschliche Teilsysteme
|
Disziplinen/Theorien
|
GrF der Prävention
|
Personales
System
|
Ethik,
Religion, Pädagogik, Recht, ...
|
4
Interagieren – Identität fördern
6
Werte bilden – Moralisch handeln
7
Projekte – Lernen durch tun
8
Gemeinschaft – Gemeinsinn entwickeln
12
Schöpfung achten – In Würde leben....
|
Geistiges
System
|
Wissenschaften,
Philosophie, Geschichte, Bildungstheorien, Didaktik, ...
|
3
Miteinander reden – Einander verstehen
5
Medienkonsum – Durch Medien lernen
6
Werte bilden – Moralisch handeln
2
Regeln achten, Fairness üben in Sport und Spiel...
|
Psychisches
System
|
Lerntheorien,
Motivationstheorien, Aggressionstheorien, Kommunikationspsychologie, ....
|
2
Frustrationen abbauen – Fairness üben
3
Miteinander reden – Einander verstehen
4
Interagieren – Identität fördern
5
Medienkonsum – Von Medien lernen
10
Mit Tätern umgehen – Gewalt entmachten...
|
Psychologisches
Tiefensystem
|
Psychoanalyse,
Individualpsychologie, andere Therapieschulen, ...
|
3
Miteinander reden – Einander verstehen
4
Interagieren – Identität fördern
6
Werte bilden – Moralisch handeln
8
Gemeinschaft – Gemeinsinn entwickeln
7
Projekte – Lernen durch tun...
|
Soziales
System
|
Soziologie,
Sozialisationstheorien, Individualpsychologie, Gemeinschaftspädagogik, Delinquenztheorien,...
|
2
Frustrationen abbauen – Fairness üben
4
Interagieren – Identität fördern
6
Werte bilden – Moralisch handeln
7
Projekte – Lernen durch tun
8
Gemeinschaft – Gemeinsinn entwickeln
9
Konflikte – Konfliktfähig werden
11
Kooperieren – Vernetzen ...
|
Biologisches
Syste
|
Humanbiologie,
Humanethologie,
Biologische
Anthropologie, (Sport-)Medizin, ...
|
1
Raum geben – Schulleben ermöglichen
2
Frustrationen abbauen – Fairness üben in Sport und Spiel
|
|